Auf Twitter wurde ich privat folgendes gefragt:
Mal ne aufrichtige Frage: würdest Du sagen, Du bist in der Haltung und Deinen (politischen) Ansichten seit 2012 radikaler geworden?
Ein Versuch einer Antwort, den ich dann doch einmal verbloggen möchte:
Das bin ich definitiv, vor allem in Bezug auf 2009, als ich eingetreten bin. Damals hab ich die ganzen Floskeln toll gefunden „nicht links, nicht rechts, sondern vorne“ oder die Einstellung, dass das Geschlecht gleichgültig sein soll (die dabei notwendige kritische Auseinandersetzung mit Geschlecht als soziale Ungleichheitskategorie scheint für viele Mitglieder aber nicht mehr notwendig zu sein – denn es gibt ja eigentlich keine geschlechtliche Diskriminierung mehr, außer bei den ‚Genderisten‘). Viele Sachen aber habe ich im Laufe der Jahre nochmal von einer anderen Perspektive betrachten können oder neu bewertet. Mein Problem ist eigentlich nicht, dass ich prinzipiell radikaler geworden bin, sondern, dass Themen, die ich 2009 schon toll fand (z.B. Diskriminierungen fern ab von Netzneutralität oder fehlender Bürgerbeteiligung), so um das Jahr 2011 auf einmal aufkamen (zumindest in meiner Wahrnehmung im Landesverband Sachsen-Anhalt) und die alleinige Beschäftigung mit diesen Themen Konflikte herbei rief. Von „wir sind keine Feministenpartei“, über „man wird doch in Kinderbüchern wohl nochmal N**** sagen dürfen“ bis hin zu „Inklusion kann ich keinem an einem Infostand erklären“ (aber Deep Paket Inspection, das Urheberrecht, den Rundfunkstaatsvertrag und ein Informationsfreiheitsgesetz – ja nee, is klar).
Wenn ich dann auf Mitglieder stieß, die meinten Feminismus sei menschenfeindlich und die Themen hätten nix mit den Piraten zu tun oder sie mir das Gefühl gaben, allein an solchen Themen zu arbeiten sei schon parteischädigend, sank meine Motivation zusehends. Die subjektiv erlebten Erfahrungen wurden immer negativer. Ich habe viele Menschen erlebt, die offensiv von immer wieder den gleiche Leuten öffentlich schikaniert, beledigt, getrollt oder schlecht geredet wurden. Konsequenzen gab es nie, das muss schließlich jede*r aushalten.
Mittlerweile fühle ich mich nicht mehr vertreten in dieser Partei und habe das Gefühl, dass die Menschen, die meine politischen Ansichten teilen nun in der Minderzahl sind und das Schlimmste daran ist, dass wir™ nie an den Kernthemen gezweifelt haben. Wir™ standen zu fast 100% dahinter. Filesharing war damals ebenso ein Thema wie die Vorratdatenspeicherung. Als dann aber Mitglieder meinten ich™ und meine™ Themen seien schuld, dass uns die Menschen nicht nicht wählen würden (weil Nicht-Ihr-Thema XY), entstanden im Laufe der Zeit immer mehr Zweifel. Das Zwischenmenschliche ging dabei immer mehr verloren. Wenn man keine gemeinsame Basis hat, dann ist es sehr schwer und mir scheint es mittlerweile unmöglich, für diese Partei noch so zu stehen wie 2012 als ich zur Bundestagswahl für meinen Landesverband angetreten bin.
Ein aktuelles Beispiel ist dieser Tweet:
http://twitter.com/seitics/status/506222673312378882
Wenn man Menschen die solche Aussagen tätigen daraufhin als Arschloch bezeichnet, dann scheint für viele Piraten die verbale Gewalt meinerseits der einzig diskutable Gegenstand zu sein. Aus eben solchen Gründen haben auch schon andere tolle Menschen diese Partei verlassen. Ich versteh sie nicht mehr, diese Relationen. Das Bombergate zeigte eindeutig, „Bomber Harris do it again“ in Bezug auf die Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg zu sagen ist die Empörlichkeit schlechthin, die daraufhin ausgesprochenen Vergewaltigungs- und Morddrohungen gegen die Aktivistinnen wurden nahezu beifallartig bejubelt. Militärische Gewalt gegen ein faschistisches, sich im Krieg befindliches Land wird wieder einmal verklärt (und das war es, nachdem Deutschland ähnliches bspw. schon in London zuvor getan hatte – Hallo Täter-Opfer-Umkehr…), aber Rape Culture und Gewaltandrohungen vom Feinsten unterstützt oder betrieben (und dabei rede ich immer noch von Piraten).
Dahingehend denke ich, dass ich wirklich radikaler geworden bin und dabei weniger in Bezug auf meine™ Themen, aber viel mehr auf die Menschen in dieser Partei. Und das ist jeden Tag auf’s Neue ein Kampf, den ich kämpfen muss, für den ich aber immer weniger Kraft finde.