Meine Position zur Herabsetzung des allgemeinen Wahlalters auf 12 Jahre als weiche Grenze

Ich wurde gebeten am 28./29.01.2012 in Nürnberg meinen Antrag vom letzten Bundesparteitag der Piraten bei der Bundesversammlung der Jungen Piraten vorzustellen. Sie suchen eine Position zu der Frage, ab wann generell das aktive Wahlrecht gelten sollte und werden voraussichtlich vier Positionen diskutieren:

  • Wahlrecht ab Geburt
  • Wahlrecht ab 12 Jahre
  • Wahlrecht ab 14 Jahre
  • Wahlrecht ab 16 Jahre

Eine umfassende Begründung findet ihr bei dem Antrag im Piratenwiki bzw. im LiquidFeedback inkl. Abstimmung. Die laufende Diskussion der JuPis findet ihr in ihrem Piratenpad. Da ich leider an der Bundesversammlung nicht teilnehmen kann, möchte ich hier nochmal meine Position näher erläutern und insbesondere auf die Contra-Argumente eingehen. Weitere Aspekte im Blog findet ihr hier und hier.

Ich sehe in der Herabsetzung des Wahlalters auf 12 Jahre einen Kompromissvorschlag, der weder eine stark bürgerrechtliche Legitimation betont, noch an einer juristischen Grenze wie der Strafmündigkeit (14 J.) geknüpft wird. Jegliche Altersgrenzziehung unterliegt einer gewissen Willkür und dies gilt nicht nur für ein Wahlalter, sondern auch für die Strafmündigkeit, die Schulpflicht, die sexuelle Selbstbestimmung etc. Die Knüpfung des Wahlalters an der Strafmündigkeit ist damit eine Form das Wahlalter an ein Reifekriterium zu binden, wobei die „Richtigkeit“ der Altersgrenze von 14 Jahren dabei selten in Frage gestellt wird. So liegt die Strafmündigkeit in England und Australien bei 10 Jahren, in der Tschechischen Republik, Finnland und Norwegen bei 15 Jahren und in Belgien oder Brasilien sogar bei 18 Jahren.

Kinder sind noch nicht reif genug

Zum einen ist Reife keine nachvollziehbare und objektive Kategorie und zum anderen ist fraglich, wer überhaupt darüber entscheiden darf, wer auf Grund welcher Eigenschaften oder Fähigkeiten wie „reif“ ist (vereinfacht wird dabei häufig eine Dichotomie von „reif“ und „unreif“ herangezogen, ohne jegliche Abstufung). Menschen kann nur in Ausnahmefällen ein Wahlrecht (per richterlichem Beschluss) entzogen werden. So müssen sich ältere Menschen bspw. keinem Reifekriterium unterziehen bzw. kann das Wahlrecht aufgrund zunehmender „Unreife“ so gut wie nicht aberkannt werden. Leider werden im Zuge des „Schutzes der Kindheit“ Kinder zunehmend in einer „Blase“ großgezogen, die sie von allem Bösen dieser Welt abschotten soll. Es ist fraglich, inwieweit Kindern Rechte abgesprochen werden sollten, die viel mehr eine Form von Verantwortung darstellt. Die Verantwortung über das Leben von Haustieren kriegen viele Kinder schließlich schon im Alter von 2 bis 3 Jahren von ihren Eltern anvertraut. Ein Mindestalter ist dabei nicht vorgegeben.

Kinder sind leichter manipulierbar

Ja und nein. Natürlich sind Kinder leichter beeinflussbar, denn ein größerer Teil ihrer (lebenslangen) Sozialisation steht noch aus. Aber bereits im Kindergarten- und Schulalter besteht das Umfeld der Kinder aus dem Elternhaus bzw. der Familie, der Einrichtung und den peer groups (z.B. Freundeskreis, Nachbarskinder), welche gegenseitig als Korrektiv aufeinander wirken. Antidemokratische Meinungen können bereits in diesem Alter insbesondere von der Schule aufgegriffen und diskutiert werden. Die Loslösung vom Elternhaus beginnt zumeist im Alter von 12 bis 13 Jahren und verstärkt den Einfluss von peer groups. Eine frühe politische Bildung in der Schule ist aber notwendig, um Kinder bereits einen Freiraum zu geben, um über ihre politischen und soziokulturellen Ansichten zu sprechen und sich mit anderen auszutauschen. Nicht zuletzt ist Manipulierbarkeit meiner Ansicht nach damit nicht per se schlecht, sondern ebenfalls als Korrektiv zu verstehen (Kinder hören sich wahrscheinlich erstmal jede Gegenmeinung an), sodass radikale Meinungen sicher weniger manifestiert sind, als bei vielen Erwachsenen. Weitere Anmerkungen zum Elterneinfluss findet ihr auf dem Blog von Manu.

Kinder brauchen/wollen noch nicht wählen

Wenn Kinder noch nicht wählen brauchen bleibt es trotzdem unverständlich, wieso sie es nicht dürfen, schließlich ist ein Recht keine Pflicht. Und geht es nicht eigentlich darum möglichst jedem Menschen ein Stimmrecht zu geben!? Dass Kinder eine Partei nicht unbedingt wegen eines Steuerkonzepts wählen werden sollte klar sein. Allerdings interessieren sich Kinder bereits in der ersten Klasse für Themen wie Umwelt, Krieg, Armut, Arbeitslosigkeit oder Migration. D.h. Kinder können bereits bewusst äußern, wie sie zu diesen Themen stehen, wenngleich sie dies noch sehr stark in ihrem unmittelbaren Umfeld beziehen. Warum dürfen Kinder nicht mitentscheiden, ob und wie ihre Schule finanziert wird, bzw. welche Dinge am Nötigsten sind? Schließlich ist Demokratie kein System, welches ausschließlich für Erwachsene gemacht ist (wenngleich die praktische Realität deutlich danach aussieht).

Kommunal ja, aber nicht auf Bundesebene

Manche behaupten, dass Bundespolitik wichtiger als Kommunalpolitik sei und Kinder deshalb vielleicht sogar kommunal entscheiden dürften, „aber doch bitte nicht nicht auf Bundesebene“. Hier offenbaren sich zwei Probleme. Zum einen ist „Wichtigkeit“ eine völlig subjektive Empfindung und dass Lokalpolitik unwichtig sei, würde wohl von vielen Bürger_innen vehement verneint werden. Zum anderen wird Kindern immer unterstellt, je höher die Ebene (lokal – regional – national – global), desto weniger verstehen sie und es wird behauptet Lokalpolitik könne ein Kind noch verstehen, aber Bundespolitik, oder gar EU-Politik nicht mehr. Dies ist allerdings ein Problem, was wohl generell auf die meisten Menschen zutrifft, die sich meist nicht einmal die Organe der EU kennen (womit ich mich einbeziehe). Aber es ist ein Irrglaube, dass Kinder so etwas wissen müssen, um überhaupt „objektiv“ wählen zu können. Politikverdrossenheit ist kein Phänomen von Kindern, sondern durchweg in jeder Altersklasse zu finden. Und auch über Interessen wie Umweltpolitik, Bildung, Krieg können Kindern schon befinden. Ab wann weiss ein Mensch genug um wählen zu dürfen und wieso darf ein 10jähriges Kind, was sich politisch sehr interessiert nicht wählen, aber ein 17jähriger Jugendlicher, obwohl es ihn noch nie interessiert hat?

Kinder wählen häufiger extremistische Parteien

Im Zusammenhang mit dem Argument, dass Kinder und Jugendliche einfacher manipulierbar seien, wird häufig behauptet, dass sie eher extremistische Parteien wählen würden. Das mag tendenziell zwar vor allem auf die NPD zutreffen, nicht aber in dem Maße, wie gern verlautet wird. Man möchte meinen, dass die Wahlergebnisse der DVU in Sachsen-Anhalt (12,9% im Jahr 1998), der Schill-Partei in Hamburg (19,4% im Jahr 2001) oder der NPD in Sachsen (9,2% im Jahr 2004) und in Mecklenburg-Vorpommern (7,3% im Jahr 2006) nicht von einer „reifen“ Wählerschaft produziert wurden. Nicht zuletzt stellen unsere Kinder und Jugendlichen auch nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft dar.

Ein relativ guter Indikator für das Wahlverhalten von Kindern und Jugendlichen ab der 7. Klasse sind die Juniorwahlen, die in verschiedenen Bundesländern dieses Jahr durchgeführt wurden. Schauen wir uns das Beispiel der Berliner Abgeordnetenhauswahl an, so ist feststellbar, dass etablierte Parteien weniger gewählt wurden und allein die Grünen höhere Stimmanteile besaßen, als bei der eigentlichen Wahl. Während die NPD 3,9% der Juniowahlstimmen bekam, waren es zur Abgeordnetenhauswahl 2,1%. Im Gegenzug dazu haben bspw. deutlich mehr Kinder und Jugendliche (4,9%) anteilig die Tierschutzpartei gewählt, welche im AGH auf lediglich 1,5% aller Stimmen kam. Auch die Piraten und die PARTEI konnte höhere Stimmanteile verbuchen. Dass Kinder generell eher extremistische Parteien wählen, kann hierbei nicht festgestellt werden, sondern eher, dass sie sehr viel diverser wählen und auch kleine Parteien in ihre Überlegungen mit einbeziehen, obwohl diese deutlich weniger mediale Präsenz genießen als die etablierten.

Ein Vergleich weiterer Wahlergebnisse der NPD in den Juniorwahlen (linke Zahl) mit denen der Landtagswahlen (rechte Zahl):

  • Hamburg: 3,9% vs. 0,9%
  • Sachsen-Anhalt: 11,4% vs. 4,6% (MLPD 0,8% vs. 0,2%)
  • Rheinland-Pfalz: 6,3% vs. 1,1% (Republikaner 1,2% vs. 0,8%)
  • Baden-Württemberg: 4,3% vs. 1,0% (Republikaner bei 0,9% vs. 1,1%)
  • Bremen: 3,5% vs. 1,6%
  • Mecklenburg-Vorpommern: 7,9% vs. 6,0%

Aus den Zahlen liest sich, dass es zwar eine Tendenz gibt, dass Jüngere vermehrt die NPD wählen, die aber mal stärker und mal schwächer vom Landtagswahlergebnis abweicht. Zu beachten ist die geringe Grundgesamtheit der Schüler_innen, bei der sich kleinere Abweichung und Trends stärker im Ergebnis niederschlagen. Doch auch bei scheinbar großen Unterschieden wie in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz ist eine Gefahr für die Demokratie nicht abzusehen. Wären die Ergebnisse der Juniorwahlen in die Endergebnisse mit einbezogen, würden die Wahlergebnisse für die NPD in Sachsen-Anhalt von 4,61% auf 4,67% (1.003.714 statt 993.502 Wählende bzw. 46.964  statt 45.826 NPD-Wählende) und in Rheinland-Pfalz von 1,08% auf 1,13% (1.931.024 statt 1.908.734 Wählende bzw. 21.962 statt 20.586 Wählende) korrigiert werden müssen. Hier offenbart sich, dass weder eine Gefahr für die Demokratie, noch eine Gefahr für die Kinder und Jugendlichen selbst besteht, wenn ihnen ein Wahlrecht zugesprochen wird.

Abschlussbetrachtung

Eine Idee, die mir vor wenigen Tagen kam, ermöglicht einen Kompromiss zwischen dem Wahlrecht ab Geburt und dem Wahlrecht ab 12 Jahren. Der Antrag zum Wahlrecht ab 0 fordert die Eintragung in ein Wählerverzeichnis für alle Minderjährigen. In meinen Augen wäre dies ein Rückschritt, da bereits in vielen Kommunen und einigen Bundesländern frei ab 16 Jahren gewählt werden darf.

Mein Kompromissvorschlag wäre das allgemeine Wahlrecht auf 12 Jahre herabzusetzen und gleichzeitig dies als weiche Grenze zu definieren, sodass Unter-12-Jährige durch Eintragung in ein Wahlregister trotzdem nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.

Da ich Grenzen generell auch sehr kritisch sehe bzw. wie sie zumeist argumentativ begründet werden, möchte ich anregen darüber zu diskutieren. In meinen Augen vereint solch eine Forderung die Stärken beider Anträge und relativiert die einzelnen Schwächen (z.B.ein Ausschluss von Wahlen auf Grund des Alters).