Politische Sozialisation und Partizipation im Kontext einer Herabsetzung des Wahlalters auf 12 Jahre

Zur Vorbereitung eines Antrages für den Bundesparteitag 2011.2 der Piratenpartei, habe ich mich mit dem Thema des politischen Interesses bzw. der politischen Sozialisation und Partizipation bei Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt. Auf Grund des Umfangs stelle ich meine Ausarbeitungen dazu als PDF hier zu Verfügung und hoffe meine Antragsbegründung für die Herabsetzung auf 12 Jahre in einen weiteren Kontext zu bringen bzw. diesen nachvollziehbar(er) zu gestalten.

Download der PDF

Update: Antrag im LiquidFeeback und im Wiki abrufbar.

Beitrag zur Diskussion über Klarnamen und Anonymität im Internet

Nicht selten hört man in letzter Zeit den Ruf der etablierten Politik nach weniger Anonymität im Internet, da dieses zudem nicht selten als „rechtsfreier Raum“ [sic!] bezeichnet wird. Immer rigider fordern auch Soziale Netzwerke wie Facebook und Google+ die Abschaffung der Anonymität bzw. von Pseudonymen.

In diesem Zusammenhang wird häufig über Klarnamen diskutiert und dass deren Anwendung all diese Probleme lösen soll. Doch die Forderung nach Klarnamen ist eine ebenso zweischneidige. So wie sich einige User durch besonders extravagante oder rare Namen eine gewisse (temporäre) Einzigartigkeit erreichen können, gibt es wiederum User, die mit ihrem Nick in einer grauen Masse gleichnamiger User untergehen.

Warum ist die Forderung nach Klarnamen nun problematisch? Namen kann man sich im Leben nur in wenigen Situationen aussuchen bzw. ändern. In Deutschland sind die weitverbreitetsten Familiennamen Müller, Schmidts, Schneider etc., in Italien Rossi, Ferraris oder Espositos, in Korea die Lees und Kims oder in Gambia die Gaye, Jobes und Sonkos. Auch unter den Vornamen gibt es von Top 5 bis nahezu einzigartig eine riesige Spanne. Aus dieser Tatsache heraus ergibt sich nun, dass Klarnamen im Internet eben genau in dieser Anonymität verschwinden können. Soziale Netzwerke sind ein gutes Beispiel, wenn dort unter dem eigenen Namen „150 Ergebnisse“ steht. Andere wiederum, die sehr exotische Namen haben, sind sehr viel einfacher zu identifizieren und im Internet aufzuspüren.

Hiermit entsteht eine höchst problematische Situation, in der einige Menschen von einer „natürlichen“ Anonymität durch hohe Redundanz (Wiederholungen) der Namen profitieren können (oder gar ihre gewünschte Einzigartigkeit wie z.B. durch einen Nicknamen verlieren).

Ein „Sebastian Müller“ ergibt bei einer Google-Suche bspw. fast 300.000 Ergebnisse und macht eine Suche nach einer Person mit diesem Namen somit nahezu unmöglich. Sucht man nun bspw. eine „Edeltraud Jamin“ (Name frei erdacht!) ergibt sich auf Google ein Ergebnis von 3 (Stand: 01.08.2011). Es scheint sich um die einzige Person zu handeln, die im Internet unter diesem Namen auffindbar ist. Ähnlich verhält es sich für Namensvetter oder -basen von Prominenten unter derer Namen man eine gute Anonymität erreichen kann (z.B. „Michael Jackson“).

Nun ist es in diesem Kontext nicht verständlich, wieso Klarnamen a) Anonymität verhindern bzw. verringern sollten und b) eine Identifizierung von Menschen mit exotischen Namen dadurch gefördert wird. Muss sich damit eine Edeltraud Jamin Sorgen machen über jeden Kommentar, den sie im Internet hinterlässt, während ein Sebastian Müller in der Masse seiner Namensvettern untergeht und sich nicht um seine freie Meinungsäußerung bzw. deren Zuordnung zu einer realen Person sorgen muss?

Update: Lesenswerter Artikel bei Metronaut – „Gute Gründe für Pseudonyme“(Übersetzung des Originals „A Case for Pseudonyms“ von Jillan York).

Links zu Geschlecht, Sexualität und Sprache (Juli 2011)

Über Homophobie im Dancehall & Reggae und dem Bounty Killer Konzert in Berlin auf indymedia

Über Sprache, Geschlechter und Berufe auf Wissenslogs

Über Intersexualität und die WM 2011 auf zwischengeschlecht

Über „geschlechtsangeleichende Operationen“ an Intersexuellen und „Genitalverstümmelungen“ in Nordafrika und dere Wahrnehmung auf zwischengeschlecht

Pluralität in der deutschen Ehekonzeption? – Fehlanzeige!

Historische Entwicklung

Eine weit verbreitete Vorstellung der Ehekonzeption ist die „Liebesehe“ [1]. Diese entstand etwa zum Ende des 19. Jh. als Gegenentwurf zu den oftmals arrangierten Konvenienzehen, im Hinblick einer „Wahrung von Besitz und Stand“ (Weichselbraun 2006:24). Eine romantisierende Vorstellung unter den geistigen Eliten, in der laut Schenk (1987, zit. nach Weichselbraun 2006) die Frauen „ihre männliche[n], die Männer ihre weiblichen Züge ausbilden“ sollten, ging dabei von einem einzigartigen Du aus, welches allein zu einem selbst passen würde. Die Vorstellung der „wahren Liebe“ fand politischen Einzug in die anfängliche Frauenbewegung, die sich gegen die Konvenienz- und Zwangsehe richtete (ebd.:24f.).

Bereits zuvor entwickelte sich im 18. Jh die bürgerliche Ehe. Zwar lassen sich auch hier schon gewisse Elemente der Liebesehe erkennen, allerdings überwogen materielle Gründe der Eheschließung bei weitem. Die Vernunft hatte sich der Sexualität und Sinnlichkeit unterzuordnen. Das patriarchalische Rollenverständnis manifestierte sich zusehends, indem es eine ökonomische Abhängigkeit der Frauen durch Haushaltung, Mutterschaft etc. schuf und gleichzeitig oftmals ein Altersgefälle (und somit auch ein Machtgefälle) zwischen dem Ehemann und der Ehefrau existierte. So waren Frauen bis ca. 1900 nach deutschem Recht nicht geschäftsfähig (ebd.:25).

Im 20. Jh. war das weit verbreitete Modell der Familie geprägt durch den Ernährer und die Verantwortliche für Heim und Kinder. In der breiten Gesellschaft wurde das bürgerliche Ehe- und Familienmodell akzeptiert und ausgeführt. Die Anbindung der Sexualität an die Ehe wurde durch Psychoanalyse und Sexualwissenschaften grundlegend hinterfragt. Während sich nach dem 1. Weltkrieg die Sexualmoral lockerte und Frauen ökonomisch unabhängiger waren, herrschten nach dem 2. Weltkrieg konservative Vorstellungen vor. Mit dem Aufkommen der Pille 1966 nahm der voreheliche Geschlechtsverkehr zu und unter StudenInnen und FeministInnen entstanden Diskurse über den Zusammenhang von Sexualität, Herrschaft und Kapitalismus. Populär wurde das Buch „Die offene Ehe“ von Nena & George O’Neill aus dem Jahre 1975, in dem gleichzeitig die Partnerschaft und individuelle Freiheiten betont werden (ebd.:25-27).

Mit dem Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit und der zunehmenden Nachfrage nach Frauen als Arbeitskräfte, wurde es zusehends einfacher sich aus den ökonomischen Zwängen einer Ehe loszureißen. Scheidungen gingen nun deutlich mehr von Frauen aus. Es kam zu einer Verschiebung von einer ökonomisch zentrierten, zu einer individualbiographischen und oft gefühlsbetonten Ehekonzeption mit diversen Aushandlungs- und Abstimmungsprozessen (vgl. ebd.:28).

Die Wirklichkeit zeigt, dass das Ideal der modernen Liebesehe,  einer  lebenslangen,  monogamen,  auf  Liebe gegründeten, Verbindung ein Konstrukt ist – entstanden aus dem Versuch, romantische und bürgerliche Vorstellungen miteinander zu verschmelzen (ebd.:28).

Für Stengel (2008:1713) ist „Liebe die derzeit normativ unhinterfragte Voraussetzung für partnerschaftliche Beziehungen“, die „im Vergleich mit den rational-ökonomischen Bindemitteln der vorindustriellen Zeit (Hof, Grund, Mitgift usw.) […] jedenfalls ein Element der Partnerbindung  dar[stellt], das als flüchtig und tendenziell bedroht gelten kann“. Weiterhin sieht er in der romantischen Liebe ein Hauptargument für die zunehmende Instabilität binärer Beziehungen und bezeichnet sie als gleichzeitiges Binde- und Lösemittel von Paarbeziehungen (ebd.).

Situation heute

Nach dieser Ausführung kann also festgehalten werden, dass die „Liebesehe“ ein Konstrukt der Romantik war, die sich von der bürgerlichen „Vernunft“-Ehe abzugrenzen versuchte. Diese romantisierte Vorstellung hat sich bis heute verfestigt bzw. weiterhin angepasst. Durch die Geschichte hinweg allerdings, wurden Ehen vor allem von Frauen aus sozioökonomischen Gründen vollzogen. Die Religion spielt eine ebenso wichtige Rolle, in der die römisch-katholisch tradierte Vorstellung der sakramentalen Eheschließung die Einheit (Treue, Monogamie und Heterosexualität) und die Unauflöslichkeit ins Zentrum rückt.

In diesem Kontext erklärt sich womöglich ein Mangel an Pluralität innerhalb der praktizierten Ehekonzeptionen. Es scheint verwerflich zu sein, aus ökonomischen Gründen zu heiraten. Dies betrifft die Diskussionen über jüngere Frauen mit älteren Männern, aber auch Ehen zwischen Deutschen und Asylbewerben, die sich oftmals dem Vorwurf der Erschleichung der Aufenthaltsgenehmigung (Scheinehe) ausgesetzt sehen und von Behörden darauf peinlich genau geprüft werden.  Andererseits gibt es auch Beispiele wie das der zwei älteren Frauen, die sich zur gegenseitigen sozialen Absicherung heirateten, trotz bekundeter Heterosexualität.

Weiter könnte gefragt werden, ob es nun verwerflich ist aus steuerrechtlichen Gründen zu heiraten!? Ehen mit starken Einkommensunterschieden bringen Steuervorteile. Doch auch aus Armut wird geheiratet, wenngleich diese Tendenzen weniger in Deutschland zu finden sind. Wieder liegen die Gründe in sozioökonomischen Zwängen. Doch wenngleich es viele Beispiele dafür gibt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nicht nur aus Liebe geschlossen wird, bleibt es weiterhin das gesellschaftliche Idealbild.

§ 1353 BGB über die „Eheliche Lebensgemeinschaft“ bezeichnet die Ehe als Lebens- und Beistandsgemeinschaft. Doch die Einschränkungen sind vielfältig. Sie fangen da an, wo sich Menschen nicht aus sozioökonomischen Gründen verheiraten dürfen, um eine andere Staatsangehörigkeit zu erlangen. Gerade ökonomische Zwänge waren in der Geschichte grundlegend für lebenslange Ehen und die sozioökonomische Befreiung der Frauen führte zum Umbruch. Womöglich ist eine sog. „Scheinehe“ nicht für die Ewigkeit gedacht, wenngleich dies im Vorfeld bei beiden Ehepartner sicher nie 100%ig feststeht. Die Vorstellung der „Unauflöslichkeit“ in der christlichen Ehe, sollte kein Argument gegen eine Lebensgemeinschaft auf Zeit sein. Die Realität in Deutschland zeigt nämlich, dass der Anteil der Ehescheidungen an allen Ehelösungen von 15% (19660) auf 40% (2005) bzw. über 200.000 gestiegen ist (Statistisches Bundesamt 2007). Die eheliche Lebensgemeinschaft auf Zeit ist also mittlerweile eine weitverbreitete Praxis.

Während die Benelux-Staaten, Spanien, Portugal und Teile Skandinaviens bereits eine gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt haben, fordern hierzulande nur zwei (im Bundestag vertretene) Parteien die Gleichstellung von gleichgeschlechtlicher Ehe und Heteroehe. Lediglich im Falle einer Geschlechtsumwandlung, die während einer bestehenden Ehe durchgeführt wird, darf eine gleichgeschlechtliche Ehe nach Transsexuellengesetz (TSG) existieren. Grund für die bisher fehlende Gleichstellung ist der bundesweite, mehrfache Widerstand der CDU/CSU und FDP gegen diverse Gesetzesvorschläge.

§ 1306 BGB schließt explizit bigame und polygame Ehen aus. Polyamorie bedeutet, dass mehrere Personen eine Liebesbeziehung miteinander eingehen, da sie eine „traditionelle“ Zweierbeziehung nicht als einzig und allein erstrebenswerte Form ansehen. Diese Form der Beziehung(en) kann sehr divers und unterschiedlich stark offen für weitere Beziehungen sein. Mal sind es sexuelle Vorstellungen, mal der Wunsch nach Zärtlichkeit und mal einfach nur Zuneigung. Polyamore Beziehungen sind in der Vorstellung konservativer Menschen womöglich die Gegenkonzepte zur heterosexuellen, binären „Liebesbeziehung“. Entweder ist solch eine polyamoröse Lebensgemeinschaft eine rein homosexuelle, oder aber eine bisexuelle, seltener aber eine heterosexuelle (z.B. eine Frau mit zwei Männern, welche miteinander aber keine Beziehung eingehen). In der Anthropologie wurde die Polygamie als die meistpraktizierte Form der Lebensgemeinschaften weltweit identifiziert. Auch hier sind sozioökonomische Interessen oftmals vordergründig, wenngleich auch starke hierarchische (und oftmals männliche dominierende) Strukturen innerhalb dieser Beziehungen bestehen. Da Frauen zumindest in Deutschland aber relativ gute Möglichkeiten haben für sich selbst zu versorgen, dürften auch polygame Beziehungen weniger aus monetärer Abhängigkeit entstehen. Lediglich die Piratenpartei Deutschland hat im Jahr 2010 die Forderung der Gleichstellung aller Partnerschaften unabhängig von Geschlecht und Anzahl in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Wenngleich Polyamorie auf Grund der sexuellen Selbstbestimmung legal ist, ist eine staatliche Anerkennung einer polyamorösen Lebensgemeinschaft bisher nicht denkbar.

Fazit

Die Möglichkeiten der Lebensgemeinschaften sind vielfältig. Mal wird der Aspekt der Liebe stärker betont, mal die sozioökonomischen Vorteile. Doch über all dem schwingt die Moral, die mal stärker christlich, mal bürgerlich oder mal romantisch geprägt ist. Die Konzeption der Ehe ist auch ein Spiegel der Gesellschaft in der wir uns befinden. Aus Unwissen, Vorurteilen und Ängsten heraus werden Scheinehen angeprangert, Polygamie verurteilt und „Homoehen“ abgelehnt. Die Politik ist hier gefragt, denn gesellschaftlicher Wandel hin zu einer pluralistischen Gesellschaft, geht nur einher mit den rechtlichen Rahmenbedingungen und einem Abbau von Hürden und Verboten.

 

[1] Zur Frage, ob „Liebe“ ein geeigneter wissenschaftlicher Begriff ist, siehe Stengel (2008:1711-1713) und Corsten (1993:12).

 

Quellen:

Corsten, Michael (1993): Das Ich und die Liebe. Subjektivität, Intimität, Vergesellschaftung, Opladen.

Schenk, Herrad (1987): Freie Liebe, wilde Ehe. Über die allmähliche Auflösung der Ehe durch die Liebe. München.

Statistisches Bundesamt [Hrsg.] (2007): Ehescheidungen 2005. <http://www.bpb.de/files/3PNI7I.pdf, 21.07.2011>

Stengel, Stephan: Liebe und Partnerwahl in der Moderne. Zwischen Natur und Sozialität In: Karl-Siegbert Rehberg [Hrsg.] (2008): Die Natur der Gesellschaft. Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen
Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, Frankfurt am Main. <http://www.ssoar.info/ssoar/files/dgs/33-2006/1706.pdf, 20.07.2011>

Weichselbraun, Michael: Die Liebesehe – Von den Anfängen ihres Ideals zur Wirklichkeit in unserer Gegenwart. In: la:sf Lehranstalt für systemische Familientherapie [Hrsg.] (2006): Systemische Notizen. Heft 04. <http://www.la-sf.at/la-sf/upload/pdf/2006-04-03_Weichselbraun.pdf, 20.07.2011>

33 GB des wissenschaftlichen Journals „Philosophical Transactions of the Royal Society“ auf The Pirate Bay

Wie Golem.de berichtet, hat ein Mann namens „Greg Maxwell“ hat am heutigen Tage insgesamt knapp 19.000 Artikel des Journals „Philosophical Transactions of the Royal Societyauf The Pirate Bay hochgeladen. Laut Maxwell sollten diese Werke, die zwischen dem 17. Jh. und 1923 entstanden, mittlerweile alle Public Domain („gemeinfrei“) sein und damit für jeden kostenlos verfügbar sein. Bei JSTOR ist dieses Journal gar nicht auffindbar. Maxwell schreibt in der Beschreibung zu diesem Torrent, dass ein älterer Artikel $8 kostet, wenngleich die Autoren und Reviewer im Gegenzug meistens keine Vergütung für ihre Arbeit bekämen, teilweise sogar noch für eine Veröffentlichung bezahlen müssten. Er schreibt:

Academic publishing is an odd system, the authors are not paid for their
writing, nor are the peer reviewers (they’re just more unpaid academics),
and in some fields even the journal editors are unpaid. Sometimes the
authors must even pay the publishers.

Dass er dies jetzt getan hat, führt er auf den Fall von Aaron Swartz zurück, der angeklagt wurde bei JSTOR über 4 Mio. Artikel heruntergeladen, aber nicht verbreitet haben soll. Maxwell wollte diese Artikel eigentlich bei Wikisource hochladen, fürchtete nun aber juritische Konsequenzen. Deswegen hat er sich dafür entschieden sie auf TPB zu releasen:

The documents are part of the shared heritage of all mankind,
and are rightfully in the public domain, but they are not available
freely. Instead the articles are available at $19 each–for one month’s
viewing, by one person, on one computer. It’s a steal. From you.

Beiträge zum barrierefreien Bauen in Chemnitz und „Persönlicher Assistenz“ für Menschen mit Behinderung

In der Sendung „selbstbestimmt“ gab es vor kurzem zwei tolle Beiträge zum Thema „barrierefreies Bauen“, bei dem Chemnitz mit sehr gutem Beispiel voran geht und „Persönliche Assistenz“ als Möglichkeit körperlich schwer „behinderte“ Menschen wieder einen Teil ihrer Selbstbestimmung zurückzuführen. Leider wird nicht ganz klar, wie genau dieses Finanz- und Pflegemodell „Persönliche Assistenz“ funktioniert, allerdings empfinde ich es als wichtigen Schritt gegen eine Ausgrenzung bzw. Stigmatisierung von „eingeschränkten“ Menschen. So zeigt das Beispiel der Frau Winkler, dass auch körperlich schwer „behinderte“ Menschen im Elektro-Rollstuhl einen Tanzkurs belegen können!

Österreichs Nationalhymne, Gender und Urheberrecht

Im Januar 2012 soll eine Neufassung der österreichischen Bundeshymne in Kraft treten. Es geht um die 1. Strophe:

Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat bist du großer Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
Vielgerühmtes Österreich,
Vielgerühmtes Österreich.

 

Die Sängerin Christina Stürmer hatte im Jahr 2010 den Song verändert, indem sie (aus der oben hervorgehobenen) Zeile „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“ machte. Daraufhin zogen die Erben von Paula Preradovićs, deren Lied 1946 von einer Jury zur Nationalhymne erhoben wurde, vor Gericht, um diese Veränderung an dem Lied anzufechten. Letztlich wurde die Klage abgewiesen, da laut der Richterin die Urheberrechte auf den Staat übergegangen sind und das Oberlandesgericht Wien zum anderen die Veränderung der Strophe als zeitgemäßes gesellschaftspolitisches Anliegen verteidigte.

Die ehemalige Frauenministern hat nun nach reichlicher „Kritik“ einiger männlichen Kollegen durchsetzen können, dass die Strophe vermutlich in ähnlicher Form wie der Christina Stürmers umgeschrieben wird. Ein gutes Zeichen für die Gleichberechtigung von Frauen ist es zumindest, schließlich stellt nicht nur der Ausschluss einer Gruppe eine Form von Diskriminierung dar, sondern auch die bewusste Nicht-Benennung einer solchen. Dass eine Nationalhymne allein auf eine männlich geprägte Kulturgeschichte verweist, wird der Rolle der Frauen in der österreichischen Geschichte nicht gerecht (um es mal freundlich auszudrücken).

Die Strophe könnte womöglich in „Heimat großer Töchter, Söhne“ oder „Heimat großer Töchter und Söhne“ (Hörbeispiel ab 1:30 min im Stream bzw. Direktlink zur MP3/OGG). Eine Kommission aus u.a. Musik- und SprachwissenschaftlerInnen wird sich dieser Frage in den nächsten Monaten widmen.

Update: Auf Wissenlogs ist dazu ein interessanter Beitrag gebloggt wurden, der auch kurz auf die deutsche Hymne eingeht oder das Ersetzen von „Söhne und Töchter“ durch „Menschen“ (alternativ dazu vielleicht auch „Kinder“?) vorschlägt.

Gerichtsurteil zur „Scheinminderjährigkeit“

Rechtsanwalt Udo Vetter hat heute darauf hingewiesen, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden hat, dass eine „Scheinminderjährigkeit“ bei Erotikangeboten weder strafbar ist, noch aus dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) abgeleitet werden kann.

Scheinminderjährigkeit bezeichnet die Tatsache, dass ein/e DarstellerIn trotz Erreichen der Volljährigkeit als jünger (und damit minderjährig) eingeschätzt wird. D.h. im Klartext, dass sich jede/r strafbar machen würde, der pornographische oder erotische Bilder besitzt, die scheinbar minderjährige DarstellerInnen zeigt, unerheblich wie alt sie wirklich sind!

Die gesetzlichen Grundlagen wurden im November 2008 gelegt und werden sehr ausführlich im Blog von Karl Weiss dargestellt und diskutiert (Anm.: „Public-Domain“-Beispiele von Nudisten-Photos zur Veranschaulichung enthalten – NSFW!).

Im Jahr 2009 veröffentlichte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) einen gutachtlichen Kritierienkatalog zur Scheinminderjährigkeit im Rahmen des Strafverbots der Jugendpornographie. Darin werden Auszüge des Gesetzentwurfs des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates der EU vom Dez 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie wiedergegeben, wonach bspw. ein Kinde „jede Person unter achtzehn Jahren“ ist (Art. 1 a) und unter Kinderpornographie u.a. auch pornographische Darstellungen „von echten Personen mit kindlichem Erscheinungsbild“ (Art. 1 b ii) bzw. „von realistisch dargestellten, nicht echten Kindern“ (Art. 1 b iii) subsummiert wird (S. 4). In dem Bericht wird Scheiminderjährigkeit folgendermaßen definiert:

Scheinminderjährig sind Darstellerinnen und Darsteller in pornographischen Medien, wenn sie aus Sicht eines objektiven, verständigen Betrachters nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und nach der Art und Weise der Inszenierung den Gesamteindruck einer minderjährigen Person (unter 18 Jahren) erwecken; das tatsächliche Alter ist insoweit unerheblich.

Nach dem Gutachten sind folgende „Kriterien zur Prüfung des Verdachtes auf Minderjährigkeit“ (S. 10-13) zu überprüfen:

1. Körperliche Merkmale

  • Gesichtsproportionen („relativ rundliches Gesicht“, „relativ große Augen“, „relativ kleine Nase (Stupsnase)“ etc.)
  • Körperproportionen
  • Geschlechtsmerkmale (Brustentwicklung, Genitalentwicklung, Körperbehaarung etc.)

2. Ausstattungsmerkmale mit Personenbezug

  • Gestalterische Merkmale („Zöpfe, angeschminkte Sommersprossen oder ‚rote Bäckchen‘ auf den Wangen, Zahnspange, Lutscher, Schnuller, Zuckerstange, Puppen“ etc.)
  • Bekleidung (z.B. Schuluniformen)
  • Habitus und Sprache („übertrieben pubertierendes Verhalten; schüchterne Zaghaftigkeit bei sexuellen Handlungen“ etc.)
  • Schriftlich oder verbale Hinweise (z.B. „Seventeen“, „17“, „Teen“)
  • Rollenzuweisung (z.B. Kinderrolle, Schülerolle)

3. Ausstattungsmerkmale ohne Personenbezug

  • Szenarische Ausgestaltung des Drehortes (z.B. Schule, Jugendzentrum, Unterricht u.v.a.m.)
  • Schriftliche und verbale Hinweise (z.B. „Nach der Schule…“)
  • Verwendung von jugendtypischen Accessoires im Bildhintergrund (Poster, Spielzeug, Puppen etc.)
  • Akustische Inszenierung

Wenn während des Überprüfungsprozesses der körperlichen Merkmale Zweifel nicht ausgeräumt werden können, so werden die Ausstattungsmerkmale mit Personenbezug und ggf. dann noch Ausstattungsmerkmale ohne Personenbezug untersucht.

Nach diesen Kriterien dürfte es viele „Scheinminderjährige“ in Pornos geben, denn es wird klar, dass diese Kritieren alles andere als „objektiv“ und „verständig“ sind. Hiermit werden klare Grenzen verwischt, sodass sich eine rechtliche Absicherung für ProduzentInnen, AnbieterInnen und KonsumentInnen kaum noch aufrecht halten lässt. Der Vertrieb bzw. Besitz von legalem Material wird zunehmend in eine Grauzone verlagert, welche „nach allgemeiner Lebenserfahrung“ (S. 9) bzw. „bereits vorhandene medizinische Erkenntnisse über Entwicklungsstadien und Ausprägungen“ (ebd.) vermeintlich objektiviert festgestellt werden soll.

Das Bayerische VGH entschied, dass es „auch keine Täuschung über das Alter [sei], wenn die Darsteller als jung inszeniert würden.“ Allerdings ist dabei eine Kennzeichnung, dass die DarstellerInnen nicht minderjährig sind, notwendig. In einem Kommentar stellt Udo Vetter aber noch einmal klar, dass dieses Urteil lediglich Auswirkungen auf Softcore-Erotik haben wird, jedoch nicht auf sog. Jugendpornographie.