Eindrücke der Podiumsdiskussion am Heinrich-Heine-Gymnasium in Wolfen am 17. April 2013

Eindrücke der Podiumsdiskussion in dem Heinrich-Heine-Gymnasium in Wolfen am 17. April 2013

Disclaimer: Diese Eindrücke sind höchst subjektiv und selektiv. Keine Gewährleistung auf Vollständigkeit 😉

Die Veranstaltung war so angedacht, dass sich Politiker*innen aller Parteien den Fragen der Schüler*innen der neunten Klassen stellen konnten. Ingesamt waren zwei Vertreter der CDU, zwei der Piraten, einer der Grünen sowie jeweils eine Vertreterin der Linken und der SPD vor Ort. Nach einer Vorstellungsrunde startete die erste Runde mit der Frage, wie sich die Parteien bzgl. der Homo-Ehe positionieren würden. Die Vertreter der CDU erklärten, dass „jeder nach seiner Fasson leben“ könne, die Sonderstellung und Privilegierung allerdings nicht abgeschafft werden soll. Dieser Ansicht widersprachen eigentlich alle Parteivertreter*innen und rückten dabei den Fokus auf Themen wie Besteuerung (Ehegattensplitting) oder Adoption.

Auf die Frage, ob zwei Väter nicht „anders“ erziehen würden als Vater und Mutter, versuchte ich darzulegen, dass die Art der Erziehung weniger vom Geschlecht abhängig ist, als eher vom einzelnen Elternteil und dessen Lebensumständen. Weiterhin versuchte ich aufzuzeigen, dass unsere Gesellschaft in den zwei Geschlechterkategorien „Mann“ und „Frau“ denkt und dabei Menschen, die sich nicht (eindeutig) darin verorten können oder wollen, ausschließt. In dem Kontext stellte ich die These des Grünen-Vertreters infrage, der meinte, dass wir PIRATEN uns als postgender bezeichnen würden. Als Vergleich erklärte ich, dass z.B. das Streben nach einer diskriminierungsfreien Gesellschaft auch ein Fernziel sei, was wir in unserem Leben nicht erreichen werden. Dahingehend ist es zwar unsere Vision, eine Gesellschaft zu haben, in der jeder Mensch seine geschlechtliche Identität frei ausleben darf, gleichzeitig sind wir uns der bestehenden Formen von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen bewusst.

Am Ende des ersten Teils wollten einige Parteivertreter*innen die Schüler*innen fragen, ob sie sich mit dem geplanten Wiederaufleben des Jugendparlaments vorstellen könnten, dort mitzuarbeiten. Aus empirischen Studien ist tendenziell ersichtlich, dass Jugendparlamente nur funktionieren, wenn sie maßgebliche Beteiligungsmöglichkeiten in den Gemeinde- oder Stadträten haben. Wenn Parlamente nicht verpflichtet sind, ausgearbeitete Anträge von Jugendparlamenten zu behandeln, bleiben diese lediglich Makulatur und führen eher zu Frustration bei den Jugendlichen als zu mehr Demokratie. Mein Appell an die Schüler*innen lautete: Fordert in eurer Schule, eurem Verein und selbst in der eigenen Familie mehr Demokratie ein, denn Demokratie beginnt nicht erst in den Parlamenten.

Nach einer Pause kam eine zweite Gruppe der neunten Klassen an die Reihe. Auch hier wurde mit der Frage nach der Homoehe begonnen, wobei die Antworten noch einmal kurz zusammengefasst wurden. Ein weiteres Mal stießen die Aussagen der CDU-Vertreter auf Unverständnis bei den Schüler*innen. Auf die Frage, warum die Schüler*innen genau uns als Partei wählen sollten, antwortete ich, dass wir uns als Bewegung verstehen, die sich notgedrungen die Form der Partei ausgesucht hat, um aktiv in den Parlamenten politische Änderungen herbeizuführen. Wir wollen der Prototyp bzw. eine Alpha-Version für eine zukünftige Gesellschaft sein, in der Mittel zur direkten Demokratie und Mitbestimmung eine Grundvoraussetzung darstellen.

Als letzte Frage wurden die Positionen der Parteien zum NPD-Verbot abgefragt. Dabei wurden eigentlich alle gängigen Argumente von allen Vertreter*innen genannt. Ich verwies darauf, dass die PIRATEN bisher keine Position beschlossen haben, unter dem Hinweis, wie demokratische Prozesse innerhalb unserer Partei funktionieren und, dass jedes Mitglied ohne große Hürden mitmachen kann. Als Abschluss warnte ich davor, das NPD-Verbot überzubewerten, da Alltagsrassismus weiterhin ein großes Problem darstellen wird und weiterhin massiv, insbesondere in den Bildungseinrichtungen, bekämpft werden muss.

Da es meine erste Podiumsdiskussion war, hat mich das Feedback der Schüler*innen sowie der Lehrerin sehr glücklich gemacht. Nicht nur, dass bei einigen Redebeiträgen von uns von vielen geklatscht wurde, sondern auch, dass wir für die Lehrerin ein sehr positives Bild der Piratenpartei vermitteln konnten, welches zumindest durch die Öffentlichkeit und die Medien getrübt war.

Zu meiner Kandidatur zur Bundestagswahl

Da hier in nächster Zeit womöglich einige Menschen eintrudeln werden, die sich über mich informieren wollen, werde ich hier meine Bewerbung zur Bundestagswahl crossposten:

Liebe Piraten,

hiermit gebe ich offiziell meine Kandidatur für die Landesliste Sachsen-Anhalt zur Bundestagswahl 2013 bekannt.

Über mich

Ich bin 28 Jahre alt und befinde mich am Ende meines Studiums der Geographie (Diplom) mit den Nebenfächern Soziologie und Ethnologie. Geboren und aufgewachsen bin ich in Bernburg, wo ich im März 2003 mein Abitur absolvierte. Anschließend trat ich als freiwillig länger dienender Wehrdienstleistender meinen Wehrdienst in der Flugabwehr-Aufklärungsbatterie 100 in Fuldatal-Rothwesten (bei Kassel) an. Im Oktober 2004 begann ich mein Studium der Diplom-Geographie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zu Beginn wählte ich meine Nebenfächer Soziologie und Betriebswirtschaftslehre (BWL), tauschte letzteres im zweiten Semester zu Volkswirtschaftslehre (VWL) bis sich mir die Möglichkeit geboten hatte, das Fach Ethnologie im achten Semester als endgültiges zweites Nebenfach zu wählen. Ich fand zu den Wirtschaftslehren nur wenig Zugang und interessierte mich viel mehr dafür, wie unsere und andere Gesellschaften und Kulturen „funktionieren“.

Politik und die Piraten

Meine politische Sozialisation begann wohl schon mit diversen Familiengeburtstagen, auf denen meine Familie oft über viele gesellschaftliche und politische Missstände diskutierte. So sehr interessierte mich Politik zu dieser Zeit außerhalb des Sozialkundeunterrichts jedoch nicht. Mein erster Computer war ein „286er“ (Intel 80286) und bereits in meiner Kindheit machte ich die ersten Schritte ins World-Wide-Web. Unzensiert und in Farbe. Meine Eltern beschränkten mich nicht, sodass ich mir über viele Jahre mein eigenes Bild von diesem „Internet“ machen konnte.

Bis ins Jahr 2009 liebäugelte ich mit den Grünen, habe mich aber nie durchgerungen, Mitglied zu werden. Schließlich hatte ich sie endgültig abgeschrieben, als sich am 18. Juni 2009 insgesamt 15 von 38 Grünen-Abgeordneten bei der Abstimmung über Internetsperren enthielten, statt dagegen zu stimmen [1].

Die politischen Forderungen nach Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung von nahezu allen Parteien, trieben mich in die Arme der aufkeimenden Piratenpartei, die mich aufgrund ihrer offenen Strukturen, ihre freiheitlichen Programmatik und der hohen Zahl junger Menschen zunehmend interessierte. Am 23. Mai 2009 trat ich der Piratenpartei Deutschland bei. In ihr fand ich viele meiner teilweise noch sehr unausgereiften Ideen wieder. Aufgrund zweier einmonatiger Aufenthalte in Nepal und den USA, stieß ich nach der Bundestagswahl 2009 erst wieder Ende 2010 zu den Piraten in Halle. Seitdem habe ich mich vielfältig engagiert und eingebracht, was ich im Folgenden kurz umreißen möchte:

Wahlkämpfe

Bundestagswahl 2009

  • Flyern (Bernburg und Plötzkau)

Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2011

  • inhaltliche Arbeit (Beantwortung von Wahlprüfsteinen oder Abgeordnetenwatch-Anfragen für unsere Kandidaten)
  • Flyern (Halle und Plötzkau)
  • Kleistern & Plakatieren (Halle, Saalkreis, Bernburg, Eisleben etc.)
  • Organisation

Oberbürgermeisterwahl Halle 2012

  • Fokus auf inhaltliche Arbeit (Wahlprogramm, Wahlprüfsteine, Betreuung der Homepage & Social Media etc.)
  • Organisation
  • Kleistern & Plakatieren

Arbeits-, Projekt- und Servicegruppen

Weiteres Engagement

Parteitage und Piraten-Veranstaltungen (unvollständig)

  • 14./15.05.2011 Bundesparteitag 2011.1 in Heidenheim
  • 30./31. Juli 2011 – 1. Bundespressetreffen in Plankenfels
  • 18. September 2011 – Landesparteitag 2011.1 in Halle
  • 3./4. Dezember 2012 – Bundesparteitag 2011.2 in Offenbach
  • 14./15. April 2012 – MAoAm & Landesparteitag 2012.1 in Magdeburg
  • 1. bis 3. Juni 2012 – 4. Bundespressetreffen in Ilmenau
  • 18./19. August 2012 – „Keinzelfall-Konferenz – Diskriminierung geht uns alle an“ in Berlin
  • 6. Oktober 2012 – Landesparteitag 2012.2 in Magdeburg
  • 3. November 2012 – Symposium 2012.5 LaKoPo in Magdeburg
  • 4. November 2012 – Aufstellungsversammlung/Landesparteitag 2012.2 Thüringen
  • 24./25. November 2012 – Bundesparteitag 2012.2 in Bochum
  • 1./2. Dezember 2012 – 5. Bundespressetreffen der Piraten in Düsseldorf
  • 8. Dezember 2012 – Landespressetreffen („Kick-Off-Meeting“) in Magdeburg
  • 19. Januar 2013 Podiumsdiskussion der BTW-Landeslisten-Kandidat*innen in Coswig
  • 26./27. Januar 2013 Symposium 2013.1 „Kommunikation“ in Halle
  • 20. Februar 2013 Kandidateninterview in Thale

Ämter und Mandate

Ich habe mich zu keiner Zeit innerhalb oder außerhalb der Piratenpartei Deutschland oder ihrer Untergliederungen für ein Amt oder Mandat beworben.

Anträge an Parteitage

Folgende Anträge wurden von mir oder in Zusammenarbeit mit anderen Piraten erarbeitet und bei Parteitagen eingereicht:

BPT2012.2 (alle eingereicht, aber keinen behandelt)

  1. PA020 – Zufällige Reihenfolge der Parteien und Kandidaten auf Wahlstimmzetteln (Wiki, LQFB)
  2. PA022 – Ergänzung des § 3 der Schwerbehindertenausweisverordnung (Taubblindheit/Hörsehbehinderung) (Wiki, LQFB)
  3. PA023 – Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung für intersexuelle Menschen (kurz) (Wiki, LQFB)
  4. PA024 – Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung für intersexuelle Menschen (alle Forderungen) (Wiki, LQFB)
  5. PA299 – Piraten bekennen sich zum Pluralismus des Zusammenlebens (Wiki, LQFB)
  6. PA347 – Deutsche Gebärdensprache als Amts- und Gerichtssprache (Wiki, LQFB)
  7. PA375 – Stärkung der Rechte Prostituierter (Wiki, LQFB)
  8. P003 – Anerkennung und Aufarbeitung der historischen Verantwortung durch den Völkermord an den Herero und Nama (Wiki, LQFB)

LPT2012.1 LSA (Anträge, die eingereicht und angenommen wurden)

  1. WPA 7 – Herabsetzung der 5%-Hürde bzw. Sperrklausel auf 3% (Wiki, LQFB, Protokoll)
  2. WPA 11 – Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 12 Jahre bei Landtagswahlen (Wiki, LQFB, Protokoll)
  3. WPA 18 – Flächendeckendes barrierefreies Notruf- und Informationssystem per Mobilfunk (SMS-Notruf) – (Zielgruppe präzisiert) (Wiki, LQFB, Protokoll)
  4. WPA 22 – Geschlechter- und Familienpolitik (Wiki, LQFB, Protokoll)
  5. WPA 23 – Ablehnung von Fracking (Wiki, LQFB, Protokoll)
  6. WPA 24 – Kulturerhalt und -förderung (inkl. kulturelle Vielfalt vs. Prestigeobjekte) (Wiki, LQFB, Protokoll)
  7. WPA 26 – Aufhebung von §5 FeiertG LSA (Tanzverbot u.a. an Feiertagen)] (Wiki, LQFB, Protokoll)

BPT2011.2 (eingereicht, aber nicht behandelt)

  1. PA072 – Herabsetzung des aktiven Wahlalters auf 12 Jahre bei Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunalwahlen (Wiki, LQFB)

Motivation und Verständnis zur Kandidatur

Es ist keine leichte Entscheidung, für das Amt einer/eines Bundestagsabgeordneten zu kandidieren. Dementsprechend gehen dieser Entscheidung einige Monate voraus, in denen ich mich immer wieder der Frage konfrontiert sah, ob für mich eine Kandidatur für ein Mandat in Frage kommen könnte. Der Katalog an Fragen und Abwägungen ist groß. Mit einer Kandidatur gebe ich zum Teil auch meine Freiheit und Ungebundenheit ab und möchte gleichzeitig einen Schnitt machen: politische Verantwortung übernehmen, statt nur zu kritisieren und aufzuklären. Was vorher als Basismitglied immer ein kann, darf oder soll war, wird damit zu einer muss-Aufgabe.

Meine Kandidatur sehe ich als eine zusätzliche Option für unseren Landesverband an. Aussagen meinerseits dazu, ob oder wie geeignet ich bin, stehen mir nicht zu. Letztendlich werde ich daran gemessen, was andere über mich und meine „Qualifikation“ denken. Der Kern meiner Kandidatur ist die Hoffnung, unsere Gesellschaft zum Positiven verändern zu können und mit meiner bescheidenen Erfahrung innerhalb und außerhalb der Partei, diese Prozesse mitzugestalten und in die „richtigen“ Bahnen zu lenken.

Ich möchte von vornherein deutlich machen, dass ich gleich meiner Positionierung auf der Liste, mich nicht über andere Kandidierende stellen möchte. D.h. ich lehne bspw. die Bezeichnungen „Spitzenkandidat(en)“ oder „Doppelspitze“ für mich persönlich ab. Weiterhin möchte ich weder von Interview zu Interview, noch von Podiumsdiskussion zu Podiumsdiskussion delegiert werden. Stattdessen möchte ich mit den anderen Kandidierenden ein Team bilden, welches keine Alleinvertretungsansprüche geltend macht, sondern auch für die Öffentlichkeitsarbeit geeignete Basispiraten mit einbezieht.

Wir müssen reden – über Privilegien und Diskriminierung

Ich bin in Deutschland geboren, männlich und weiß, führe eine „monogame“ heterosexuelle Beziehung, habe keine Behinderung und bin Atheist. Mir ist bewusst, dass ich damit in unserer Gesellschaft extrem privilegiert bin und dadurch die Erfahrungen struktureller (Alltags-)Diskriminierung kaum am eigenen Leib erfahren habe und erfahre. Aus dieser Form der Privilegierung erwächst aber auch eine hohe Verantwortung gegenüber den Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Sexualität, ihres Geschlechts oder Alters, ihrer körperlichen und geistigen Eigenschaften o.ä. täglich diskriminiert werden. Ich werde versuchen, meine gesellschaftliche Rolle immer wieder zu hinterfragen, damit ich nicht durch sie „erblinde“.

Je besser ich die Abläufe politischer Entscheidungsprozesse kennenlerne, umso mehr kristallisiert sich für mich heraus, dass in den meisten Fällen Politik für Betroffene gemacht wird, nicht jedoch von und mit ihnen. Meine Vision ist es, selbst denen eine Stimme zu verleihen, die bereits aufgegeben haben, diese einzufordern oder von vornherein von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden.

Ich werde mich einsetzen für die Chancengleichheit und Teilhabe aller Menschen, den Abbau von struktureller und institutioneller Diskriminierung, einer inklusiven und barriere„freien“ Gesellschaft. Eine Gleichbehandlung aller Menschen darf nicht aufgrund ihrer Herkunft, ihren geschlechtlichen und sexuellen Identität, ihres sozialen Status, ihrer körperlichen, geistigen oder seelischen Beschaffenheit, ihrer Religion etc. in Frage gestellt werden. In diesem Kontext habe ich am 10. April 2012 die Unvereinbarkeitserklärung (inspiriert durch den CCC und einen offenen Brief der Jungen Piraten) unterzeichnet [2].

Wie ich mir meine Arbeit vorstelle

Als Kandidat für den Deutschen Bundestag, werde ich zum Delegierten gewählt. Diese Delegation bezieht verschiedenste Gruppen ein. Zum einen wählen mich die Mitglieder des Landesverbandes Sachsen-Anhalt und ich vertrete explizit unsere landespolitische Position auf Bundesebene innerhalb der Piratenpartei. Die Wähler_innen in Sachsen-Anhalt delegieren mich, um die landespolitische Position im Bundestag zu vertreten. Weiterhin vertrete ich aber auch die Piratenpartei Deutschland als gesamte Partei und alle Wähler_innen der PIRATEN in ganz Deutschland. Als Bundestagsabgeordneter steht am Ende die Verantwortung für alle Menschen in der Bundesrepublik Deutschland Politik zu gestalten. All diese vielfältigen Interessen, müssen ihren Platz finden. Diese Aufgabe kann ich daher nur mit einer guten Unterstützung auf allen Ebenen bewältigen. Die Basisarbeit für die Bundespolitik ist daher nicht nur durch die Bundespartei notwendig, sondern auch durch die Piraten des Landesverbandes, zu denen ich weiterhin einen sehr engen Kontakt pflegen möchte.

Die Prioritäten meiner politischen Zielsetzung stelle ich mir mit absteigender Relevanz vor:

  1. Umsetzung der Inhalte des Wahlprogramms zur Bundestagswahl 2013
  2. Gesetzgebungsprozesse und parlamentarische Kontrolle orientierend am Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland, den UN-Konventionen [3] und (E-)Petitionen
  3. Positionspapiere und liquid-demokratische Meinungsbilder innerhalb der Piratenpartei einzubeziehen
  4. Landesthemen der PIRATEN Sachsen-Anhalt nach Möglichkeiten auf Bundesebene und im Bundestag vertreten
  5. Positionspapiere und politische Forderungen von Interessensverbänden im Bereich Menschen- und Bürgerrechte einbeziehen
  6. Einbringen persönlicher Themenschwerpunkte (siehe dazu den Abschnitt Wofür ich mich ganz besonders einsetzen werde)

[3] Dazu gehören bspw. die UN-Konventionen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, für die Rechte der Kinder, gegen Korruption, oder gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.

Ich setze mich für eine bestmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit der politischen Entscheidungen innerhalb PIRATEN-Fraktion und der Gremien und Ausschüsse des Bundestages ein. Dabei werde ich die technischen Möglichkeiten nach bestem Wissen und Gewissen einfordern, um basisdemokratische und liquid-demokratische Mittel zu nutzen, um die Arbeit insbesondere in den Ausschüssen nach außen zu kommunizieren und von außen beeinflussbar zu machen (z.B. mithilfe von Liquid Feedback).

Ich werde von dem sog. freien Mandat [4] Gebrauch machen und lehne einen Fraktionszwang [5] ab. Nichtsdestotrotz ist es meine innere Verpflichtung, mich an die Grundsätze und Werte der Piratenpartei Deutschland zu halten und diese mit bestem Wissen und Gewissen zu verteidigen und umzusetzen.

Meine Stärken, Schwächen und Zweifel

Ich bin jung und idealistisch, d.h. ich glaube noch daran, dass wir die Welt zu etwas Besserem verändern können. Aufgrund meiner politischen Unerfahrenheit, kann ich nur erahnen, wie der politische Alltag im Bundestag vonstatten geht. Ich möchte mich im Vorfeld so intensiv wie möglich auf die kommenden Aufgaben vorbereiten und dabei insbesondere die langweiligen, nervenaufreibenden und frustrierenden Aspekte dieses Jobs kennenlernen. Nur so kann ich gewährleisten, dass ich die von Beginn an an mich gestellten Aufgaben schnell umsetzen kann. Sie werden innerhalb von vier Jahren im Bundestag einen Vollzeitjob darstellen, der vermutlich keinen Feierabend kennt. Die selbstbewussten, bunt zusammengewürfelten Charaktere der PIRATEN-Fraktion werden ihr Übriges tun und eine skandalträchtige Selbstfindung der Gruppe(n) wird vermutlich nicht ausbleiben (man denke nur an die erste Fraktionssitzung der Piraten in Berlin). Ich möchte dazu beitragen der Piratenpartei Deutschland das Profil einer sozialliberalen Bürgerrechtspartei zu geben, wie es noch bei keiner anderen Partei zu finden war. Dazu möchte ich meine persönlichen Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen, die ich insbesondere im Laufe meines Studiums und in der Partei gesammelt und erlernt habe.

Ich kenne meine Schwächen bzw. denke, dass ich ganz gut reflektieren kann, wann und wo ich an meine Grenzen stoße. Das betrifft sowohl mein Wissen zu politischen Themen, als auch die alltägliche Kommunikation (an der ich seit Jahren arbeite, um sie weniger verletzend zu gestalten). Ich habe keine Angst davor um Hilfe zu bitten, Fragen zu stellen oder Unwissenheit vor Anderen zuzugeben. Diese Eigenschaft halte ich für wichtig und sie ist notwendig, um solch eine moderne und vielfältige Partei vertreten zu können. Zu den Menschen versuche ich stets ehrlich, aber auch direkt zu sein. In (politischen) Diskussionen ergreife ich gerne einmal das Zepter, wenn ich im Thema eingearbeitet bin. Ich versuche dabei Schwachstellen (sowohl bei mir als auch den anderen Meinungen) herauszukristallisieren, meine eigenen Ansichten und Thesen immer wieder zu überprüfen und schlussendlich Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

Bisher gehöre ich zur Basis. Als Basismitglied habe ich jederzeit die Möglichkeit, mich völlig frei zu entfalten, aber auch jederzeit zurückzuziehen. Dieser Spielraum wird wegfallen. Die Verantwortungen, die ich übernommen habe, waren meist an Freiwilligkeit und Eigenengagement gebunden. Der Privilegierung als Bundestagsabgeordneter steht gleichzeitig die hohe Verantwortung gegenüber. Als Mandatsträger stehe ich vor der Aufgabe parlamentarische Arbeit in vielfältigen Themenbereichen und Gremien zu leisten und verschiedenste Positionen einnehmen zu müssen. Als Vertretung verschiedener Wähler_innengruppen innerhalb und außerhalb der Piratenpartei, müssen diese teilweise konträren politischen Sichtweisen und Forderungen nachvollziehbar erarbeitet, kommuniziert und umgesetzt werden. Der Einfluss auf meine politischen Entscheidungen werde ich dabei so transparent wie möglich zu gestalten.

Sich auf ein Mandat zu bewerben, stellt mich auch vor die Entscheidung, wie ich meine zukünftigen Arbeitslebenslauf gestalte. Nach einem längerem Studium und wenig Erfahrungen in der Arbeitswelt, werden vier Jahre parlamentarischer Arbeit nur bedingt meine Qualifikationen und Berufschancen aufbessern [6]. Weder kann ich auf eine Stelle im öffentlichen Dienst, noch auf berufliche Praxiserfahrung vor und während des Mandates zurückgreifen. Eine Antwort auf die vielen Fragen diesbezüglich, bleibe ich daher leider schuldig. Eine negative Auswirkung auf meine Kandidatur und politische Arbeit kann und darf dies allerdings nicht bedeuten.

[6] Siehe dazu die Studie: Kreiner, Maria (2005): Amt auf Zeit. Eine Verbleibsstudie über ehemalige Bundestagsabgeordnete. Oldenburg. (Zusammenfassung: http://www.presse.uni-oldenburg.de/f-aktuell/21777.html)

Wofür ich mich ganz besonders einsetzen werden

(zufällige Reihenfolge; offene Liste)

  • ein inklusives Bildungssystem als Grundlage für eine zukünftige inklusive, barrierefreie und diskriminierungsfreie Gesellschaft
  • eine Entbürokratisierung, insbesondere in den Bereichen soziale Sicherungssysteme, Bildung, Gesundheit etc., soweit es sinnvoll gestaltet werden kann; ein bedingungsloses Grundeinkommen unterstütze ich als langfristiges Ziel, bis dahin unterstütze ich andere Konzepte wie z.B. ein bedingungsloses Kindergeld oder BAföG bzw. verbindliche Mindestlöhne
  • den Ausbau der sozialen, kulturellen und politischen Mitbestimmungs- und Teilhabemöglichkeiten für alle Menschen (Stichwort: inklusives, Kinder- und Ausländerwahlrecht, Jugendparlamente, direkte und liquide Demokratie etc.)
  • die Förderung des barrierefreien und kostenlosen Zugangs zu wissenschaftlichen Publikationen (Open Access, Open Data) und amtlichen Texten (Stichworte: Leichte Sprache, Mehrsprachigkeit, Gemeinfreiheit etc.)
  • die Offenlegung des Einflusses von Lobby-Organisationen und Ratifizierung (Umsetzung) der UN-Konvention gegen Korruption
  • die Stärkung des Verbraucherschutzes sowie des fairen und ökologischen Handels und Anbaus; mehr Transparenz für Konsument_innen, woher Produkte kommen und unter welchen Umständen sie hergestellt bzw. angebaut wurden
  • eine moderne Geschlechterpolitik: echte Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt; Stärkung der Rechte von transsexuellen und intersexuellen Menschen sowie Transgendern etc.; rechtliche Gleichstellung aller Lebenspartnerschaften (inkl. der Ehe) gleich der geschlechtlichen Zusammensetzung oder Anzahl
  • einen Abbau der staatlichen Überwachung und des Handels personenbezogener Daten
  • gleiche Chancen und Rechte für Migrant_innen und Stärkung der Rechte für Asylsuchende

Wir müssen reden – über Geld

Als Bundestagsabgeordnete_r übernimmt man in vielerlei Hinsicht eine hohe Verantwortung. Eine davon sind die hohen Bezüge, die direkt durch die Steuerzahler_innen finanziert werden und die die politische Unabhängigkeit gewährleisten sollen. Ich werde alle Einnahmen und Ausgaben veröffentlichen, die die Aufgaben des Mandates oder meine politische Willensbildung betreffen oder beeinflussen. Am 9. Oktober 2012 unterzeichnete ich in diesem Zusammenhang als Basispirat die freiwillige Selbstverpflichtung „Gläserner Abgeordneter“ [7]. Damit verpflichte ich mich für eine sorgfältige und transparente Verwendung der Abgeordnetenbezüge. Ich werde sie primär zur Gewährleistung einer bestmöglichen parlamentarischen Arbeit benutzen.

Einen Teil der Bezüge werde ich zur parteiinternen Finanzierung verwenden (Projekte, Wahlkämpfe, Materialien, Parteiveranstaltungen etc.), einen anderen für soziale, kulturelle und wissenschaftliche Projekte (lokal und regional, Crowdfunding-Projekte wie z.B. auf www.respekt.net, www.betterplace.org etc.). Der Idee einer regelmäßigen Abstimmung zur Verteilung eines vorher festgelegten Spendenbetrages stehe ich positiv gegenüber.

Weiterhin möchte ich prüfen, ob es möglich ist, Filme, deren Urheberrechte abgelaufen sind, für einen bezahlbaren Preis zu digitalisieren und damit gemeinfrei zur Verfügung zu stellen (ähnlich dem Projekt archive.org). Ich kann mir vorstellen, dahingehend weitere eigene finanzielle Mittel aufzuwenden.

Eine grundsätzliche Aussage über den finanziellen Rahmen kann ich nur bedingt machen. Allerdings sind die Bezüge hoch und Vergütungen sowieso Vergünstigungen gibt es viele [8]. Gegenüber der Gegenwart als Student, würde mir aber ein Vielfaches meiner jetzigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Was mit mir nicht passieren wird

(Achtung: Kann Spuren von Ironie und Insidern enthalten!)

Meine persönlichen Ziele im Überblick

  1. Ich möchte das Programm der Piratenpartei Deutschland so gut wie möglich in die Tat umsetzen und in die politischen Debatten einbringen.
  2. Ich möchte Menschen- und Bürger_innenrechte stärken und weiterentwickeln.
  3. Ich möchte gesellschaftliche Diskriminierung und Barrieren abbauen.
  4. Ich möchte eine Politik vertreten, die insbesondere die Betroffenen mit einbezieht und Barrieren zur politischen Teilhabe abbaut.
  5. Ich möchte die technischen Mittel und Erkenntnisse der PIRATEN nutzen, um die direkte und liquide Demokratie innerhalb und außerhalb von Parlamenten weiterzuentwickeln.

Abschlusszitat

„[…] eine Partei erlangt nur Glaubwürdigkeit, wenn ihre Vertreter beweisen, dass man das Wahlprogramm auch leben kann.“ [9]

„Vorsprung durch Technik. Über die Piratenpartei“

„Vorsprung durch Technik“, so hieß ein Vortrag letzte Woche vom Bahamas-Redakteur Sören Pünjer, welcher von der AG Antifa der MLU Halle-Wittenberg organisiert wurde. Ich möchte hier meine persönlichen Eindrücke des Vortrages darstellen und auf einige Thesen des Referenten eingehen.

Das Referat bzw. die Argumentation selbst war in sich nicht wirklich konsistent. Pünjer zitiert mal einen FOCUS-Artikel, mal einen Wahlprogrammpunkt aus dem Jahre 2010, der mittlerweile nicht mehr existiert oder eine Neu-Piratin ohne eine Quellenangabe ihrer Aussagen zu nennen. Danach wusste er meist ein Zitat von Theodor W. Adorno, Sigmund Freud etc. einzuwerfen, um dann nochmal über Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ oder George Orwells „1984“ zu philosophieren. Am Ende folgte immer eine generalisierte Aussage über die Piratenpartei, ohne sie wirklich belegen zu können. Lediglich seine willkürlich eingestreuten Quellen sollten seine Thesen untermauern. Symbolisch steht dabei seine Aussage über „das“ Video der Gruppe Anonymous zu ACTA. Ein Beweis, dass er die Dezentralität dieses losen Zusammenschlusses von Internetaktivist_innen nicht verstanden hat.

Seine Hauptkritik bestand darin, die Piraten als softwaregläubig darzustellen, indem wir unsere Politik durch unser Meinungsfindungstool „Liquid Feedback“ erarbeiten. Kein Wort dazu, dass es die Piraten sind, die dieses Tool nach ihren Wünschen gestalten, dass es legidlich zur Meinungsfindung dient und immer einen Parteitag brauch, um Themen in ein Programm aufzunehmen. Liquid Feedback ist nicht bindend, doch davon kein Wort des Referenten.

In diesem Kontext argumentiert Pünjer, die Kommunikation von Piraten würde nur noch über Facebook und Twitter ablaufen. Dabei zeigt sich, dass er auch diesmal sich kaum mit den Strukturen der Piraten beschäftigt zu haben scheint. Parteiintern nutzen wir Mailinglisten, Mumble (ähnlich wie Skype), die Piratenpads genau so wie Stammtische, Arbeitstreffen , Podiumsdiskussionen etc. Der Hinweis, sich nicht rein auf virtuelle Kommunikation zu verlassen (fehlende Emotionen etc.) ist wichtig, aber auch keine Neuigkeit für die Piraten.

Auch das Thema „Post-Gender“ möchte ich noch einmal ansprechen. Er wirft uns vor stark männlich geprägt zu sein, ohne seine eigene „Szene“ der Antideutschen selbst zu reflektieren. Die Piratenpartei ist nicht post-gender, sondern sie sieht es als Ideal an. Ein Zweigeschlechtersystem, in dem lediglich Männer und Frauen existieren bzw. eine rechtliche Stellung besitzen, lehnen wir ab. Die Verankerung dieser Vorstellung in den Köpfen können wir aber nicht von heute auf morgen abschaffen. So sind Piraten auch gegen eine Frauenquote, weil sie die Dichotomie Mann – Frau verstärkt und nicht durchbricht. Forderungen nach Quoten für Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle oder andere Geschlechtsidentitäten existieren in der Politik nicht.

Pünjer scheint große Probleme mit der Basisdemokratie zu haben. Er verweist relativ unspezifisch auf die Geschichte, lässt aber genaueres außen vor. Mir kam sofort das Bild eines Stadtarchivs in Nienburg (Saale) auf, in dem ich Akten las, die eine über 80%-ige Wahlbeteiligung um 1930/34 herum aufwiesen. Ist das seine Angst vor der „Tyrannei der Massen„, wie es FDP-Generalsekretär Patrick Döring so schön formulierte? Ich gestehe, dass wir Piraten eine sehr optimistische Herangehensweise an die (Basis-)Demokratie haben, indem wir von einem positiven Menschenbild und einer gewissen Informiertheit der Bürger_innen ausgehen. Warum bspw. Minderheitenschutz und Basisdemokratie nicht miteinander vereinbar sein sollen, lassen sowohl Pünjer, als auch andere Kritiker_innen unbeantwortet. Gleichzeitig wehrt sich Pünjer sogar dagegen, dass sich Menschen nicht als Individuum, sondern als Gruppierungen politisch vertreten (lassen). Auf die Frage, wie denn seine Form der Demokratie aussehen würde, antwortete er kryptisch, dass sich Menschen nur als Individuum vertreten sollten und niemand mehr für Minderheiten und/oder Mehrheiten. Dabei bleibt unklar, ob Pünjer sich mit seiner Forderung noch innerhalb eines demokratischen Systems (z.B. durch Wahlen des Volkes) bewegt, oder ob er damit eher staatliche Strukturen ablehnt (z.B. Anarchismus). Nicht zuletzt stellt sich mir die Frage, inwiefern sich die Individuen einer Gesellschaft, in der die Identifikation zueinander (Wir – Andere) wohl schon immer existierte, überhaupt nur für ihre individuellen Bedürfnisse einsetzen würde. Eltern werden für die Rechte ihrer Kinder eintreten, Religionsgruppen für ihre Gläubigen etc.

Viele Fragen blieben mir unbeantwortet und zeugten davon, dass es dem Referenten nicht um eine konstruktive Diskussion ging. Als ein Pirat ihm das Angebot unterbreitete, in Dialog mit den Piraten zu treten, um seine Bedenken zu diskutieren, antwortete er mit „Das nehme ich zur Kenntnis“. Auf die Frage, ob er seine Thesen in Gesprächen mit Piraten einmal überprüft habe bzw. mit wievielen er sich schon unterhalten hat, gab er zu, dass seine Primärquellen verschiedene Onlinemedien der Presse und der Piraten war. An einem Dialog scheint Sören Pünjer als nur bedingt interessiert zu sein.

Crossposting auf der PiratenHalle-Seite

Die „Genderproblemlösungsstrategie“ oder „Wieso überhaupt gendergerechte Sprache?“

Nach einem Posting auf einer Mailingliste, in der die „Genderproblemlösungsstrategie“ in Form des Mozilla Firefox  bzw. Google Chrome Addons Binnen-I be gone gepostet wurde, hab ich mich dazu hinreißen lassen, mal etwas mehr dazu zu schreiben:

Ich finds immer wieder traurig, wie unsachlich sich manche hinsichtlich des Genders äußern. Ich möchte mal alle männlichen Kritiker sehen, die aufheulen würden, wenn man sie Kritikerinnen bezeichnet. Aber stimmt, Frauen sind ja so bevorzugt in unserer Gesellschaft, warum sollten wir sie überhaupt mitnennen (nennt sich übrigens generisches Maskulinum, was sprachwissenschaftlich auch sehr umstritten ist).

Und dann noch der Ausschluss von Menschen, die sich nicht einem der beiden Geschlechter zuordnen lassen wollen. Unser zweigeschlechtliches Wertesystem ist aufgrund biologistischer Theoreme entworfen wurden, die bei genauer Betrachtung dieses auch nicht stützt (siehe dazu bspw. den Vortrag eines Biologen über die Konstruktion des biologischen Geschlechts). Die Biologie und Medizin kennt Intersexualität (Zwitter) in verschiedensten Ausprägungen und die Ethnologie hat viele Beispiele parat von Gesellschaften, die nicht auf lediglich zwei Geschlechter aufbaut. Letztendlich ist Sprache in sozialwissenschaftlichen Theorien eine Form der Herstellung und Reproduktion von Macht, Hierarchien und Ungleichheiten. Wenn ich Menschen sprachlich unterteile, stecke ich sie Kategorien, d.h. nicht sie sind diejenigen, die über ihre Geschlechteridentität die Definitionshoheit haben, sondern andere. Der deutsche Staat erhebt nur zwei Geschlechter bei Menschen. D.h. sich als intersexuell, transsexuell, transgender oder sonstewas zu definieren ist zwar erlaubt, wird aber vom Staat dahingehend nicht anerkannt. Männer müssen sich nicht rechtfertigen, wieso sie als Mann bezeichnet werden wollen, aber Transfrauen müssen sich rechtfertigen, warum sie als „geborener Mann“ nun als Frau verstanden werden will. Nur mal ein Fun Fact, bis 2011 mussten sich gesunde Transsexuelle die keine Geschlechtsangleichung gemacht haben sterilisieren lassen! Aber das interessiert ja keinen, der keine Geschlechter“störung“ (es als Krankheit darzustellen zeigt, dass ein gesellschaftliches Stigma herrscht, wie bis in die 60er Jahre bei Homosexualität) besitzt.
Sprache bedeutet Einschluss oder Ausschluss und jede_r kann entscheiden, ob ihr/sein „literarisches Auge“ mehr geschädigt wird, als es für sinnvoll erachtet wird nicht nur von (männlichen) Politikern oder im nächsten Schritt zusätzlich von weiblichen Politikerinnen zu sprechen, sondern vielleicht eine eine gänge Methode zu nutzen, um auch Menschen einzubeziehen, die sich nicht einer dieser beiden Kategorien zuweisen lassen wollen (Politiker_innen, Politiker*innen, PolitikerInnen etc.).

Wir alle wissen welche Macht Sprache besitzt und wir benutzen sie täglich, um alle Menschen um uns herum zu „manipulieren“ (das ist das, was Kommunikation immer macht). Wir können entscheiden, wie wir unsere gesellschaftliche Realität hin manipulieren wollen. Ob wir Inklusion oder Exklusion wollen. Und häufig sind wir uns solchen Dingen nicht bewusst, weil wir nie in solch eine Situation kommen ausgeschlossen zu werden, bspw. als Frau die weil sie eine Frau ist keine Führungsposition bekommt, als Kind das von Wahlen ausgeschlossen wird, als Gehörlose_r der/die keine Untertitel in öffentlich-rechtlichem Fernsehen trotz GEZ-Gebühren ab dem Jahr 2013 bekommt, als Blinde_r dem/der öffentliche Informationen nicht barrierefrei zur Verfügung gestellt werden oder als Rollstuhlfahrer_in, für den/die es keine Rampe gibt.

Es ist wichtig darüber zu diskutieren, ob und warum wir ALG-II-Bezieher_innen nicht Hartz-4-er , Migrant_innen nicht Ausländer, Menschen mit körperlicher Behinderung nicht Krüppel oder Invalide („Wertlose“) bzw. Menschen mit „geistiger Behinderung“ nicht Irre, Schwachsinnige oder Geisteskranke genannt werden sollten. Und wenn, dann sollten nur sie sich so nennen dürfen (Emanzipation, Empowerment, Selbstbestimmung etc.).

Sprache ist einer unserer stärksten Machtmittel überhaupt.

Der Preis für Barrierefreiheit am Beispiel Leichter Sprache

Nach einer Anfrage an das Netzwerk Leichte Sprache, wurde mir soeben der Preis für die Übersetzung des Grundsatzprogramms der Piratenpartei und des Wahlprogramms des LV Sachsen-Anhalt übermittelt. Es gibt sicher viel Stoff darüber zu diskutieren, aber ich hoffe, dass diese Debatte mit Vernunft geführt wird. Einen Überlick was Leichte Sprache ist und wieso wir sie brauchen, gibt es hier und wie sie funktioniert hier.

Aus Transparenzgründen: Das folgende Angebot stammt von der Holtz & Faust GbR in Münster.

Zusammenfassung (für diejenigen, die Bilder nicht „lesen“ können): Die Übersetzung des aktuellen Grundsatzprogramms der Piratenpartei, mit insgesamt 80.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen), würde 2.900 EUR plus knapp 400 EUR für erläuternde Bilder kosten. Inkl. Mehrwertsteuer kommen wir auf einen Gesamtbetrag von 3.933,88 EUR. Darin enthalten sind mehrfache Prüfungen und Überarbeitungen durch Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. Mitarbeiter_innen der Westfalenfleiß GmbH, die insgesamt fast 900 Menschen mit Behinderung einen Wohn- und Arbeitsplatz ermöglicht. Zudem wurde der Hinweis gegeben, dass das Grundsatzprogramm nicht im Ganzen, sondern eher als Zusammenfassung erarbeitet bzw. gekürzt werden könnte.

Ich lade alle Piraten und Nicht-Piraten herzlich ein, sich an der Diskussion z.B. in der AG Barrierefreiheit zu beteiligen oder in einem öffentlichen Pad. Wir sollten ernsthaft darüber nachdenken, vor der Bundestagswahl das Geld zu investieren, eine Spendenaktion könnte dies meiner Meinung nach sicherlich ermöglichen und würde uns langfristig mehr Nutzen als Kosten bescheren. Nach kurzem googlen finden sich bereits zahlreiche Wahlprogramme einiger Parteien z.B. von den Grünen.

Mehr Infos auch bei Deutschlandradio Kultur.

Meine Position zur Herabsetzung des allgemeinen Wahlalters auf 12 Jahre als weiche Grenze

Ich wurde gebeten am 28./29.01.2012 in Nürnberg meinen Antrag vom letzten Bundesparteitag der Piraten bei der Bundesversammlung der Jungen Piraten vorzustellen. Sie suchen eine Position zu der Frage, ab wann generell das aktive Wahlrecht gelten sollte und werden voraussichtlich vier Positionen diskutieren:

  • Wahlrecht ab Geburt
  • Wahlrecht ab 12 Jahre
  • Wahlrecht ab 14 Jahre
  • Wahlrecht ab 16 Jahre

Eine umfassende Begründung findet ihr bei dem Antrag im Piratenwiki bzw. im LiquidFeedback inkl. Abstimmung. Die laufende Diskussion der JuPis findet ihr in ihrem Piratenpad. Da ich leider an der Bundesversammlung nicht teilnehmen kann, möchte ich hier nochmal meine Position näher erläutern und insbesondere auf die Contra-Argumente eingehen. Weitere Aspekte im Blog findet ihr hier und hier.

Ich sehe in der Herabsetzung des Wahlalters auf 12 Jahre einen Kompromissvorschlag, der weder eine stark bürgerrechtliche Legitimation betont, noch an einer juristischen Grenze wie der Strafmündigkeit (14 J.) geknüpft wird. Jegliche Altersgrenzziehung unterliegt einer gewissen Willkür und dies gilt nicht nur für ein Wahlalter, sondern auch für die Strafmündigkeit, die Schulpflicht, die sexuelle Selbstbestimmung etc. Die Knüpfung des Wahlalters an der Strafmündigkeit ist damit eine Form das Wahlalter an ein Reifekriterium zu binden, wobei die „Richtigkeit“ der Altersgrenze von 14 Jahren dabei selten in Frage gestellt wird. So liegt die Strafmündigkeit in England und Australien bei 10 Jahren, in der Tschechischen Republik, Finnland und Norwegen bei 15 Jahren und in Belgien oder Brasilien sogar bei 18 Jahren.

Kinder sind noch nicht reif genug

Zum einen ist Reife keine nachvollziehbare und objektive Kategorie und zum anderen ist fraglich, wer überhaupt darüber entscheiden darf, wer auf Grund welcher Eigenschaften oder Fähigkeiten wie „reif“ ist (vereinfacht wird dabei häufig eine Dichotomie von „reif“ und „unreif“ herangezogen, ohne jegliche Abstufung). Menschen kann nur in Ausnahmefällen ein Wahlrecht (per richterlichem Beschluss) entzogen werden. So müssen sich ältere Menschen bspw. keinem Reifekriterium unterziehen bzw. kann das Wahlrecht aufgrund zunehmender „Unreife“ so gut wie nicht aberkannt werden. Leider werden im Zuge des „Schutzes der Kindheit“ Kinder zunehmend in einer „Blase“ großgezogen, die sie von allem Bösen dieser Welt abschotten soll. Es ist fraglich, inwieweit Kindern Rechte abgesprochen werden sollten, die viel mehr eine Form von Verantwortung darstellt. Die Verantwortung über das Leben von Haustieren kriegen viele Kinder schließlich schon im Alter von 2 bis 3 Jahren von ihren Eltern anvertraut. Ein Mindestalter ist dabei nicht vorgegeben.

Kinder sind leichter manipulierbar

Ja und nein. Natürlich sind Kinder leichter beeinflussbar, denn ein größerer Teil ihrer (lebenslangen) Sozialisation steht noch aus. Aber bereits im Kindergarten- und Schulalter besteht das Umfeld der Kinder aus dem Elternhaus bzw. der Familie, der Einrichtung und den peer groups (z.B. Freundeskreis, Nachbarskinder), welche gegenseitig als Korrektiv aufeinander wirken. Antidemokratische Meinungen können bereits in diesem Alter insbesondere von der Schule aufgegriffen und diskutiert werden. Die Loslösung vom Elternhaus beginnt zumeist im Alter von 12 bis 13 Jahren und verstärkt den Einfluss von peer groups. Eine frühe politische Bildung in der Schule ist aber notwendig, um Kinder bereits einen Freiraum zu geben, um über ihre politischen und soziokulturellen Ansichten zu sprechen und sich mit anderen auszutauschen. Nicht zuletzt ist Manipulierbarkeit meiner Ansicht nach damit nicht per se schlecht, sondern ebenfalls als Korrektiv zu verstehen (Kinder hören sich wahrscheinlich erstmal jede Gegenmeinung an), sodass radikale Meinungen sicher weniger manifestiert sind, als bei vielen Erwachsenen. Weitere Anmerkungen zum Elterneinfluss findet ihr auf dem Blog von Manu.

Kinder brauchen/wollen noch nicht wählen

Wenn Kinder noch nicht wählen brauchen bleibt es trotzdem unverständlich, wieso sie es nicht dürfen, schließlich ist ein Recht keine Pflicht. Und geht es nicht eigentlich darum möglichst jedem Menschen ein Stimmrecht zu geben!? Dass Kinder eine Partei nicht unbedingt wegen eines Steuerkonzepts wählen werden sollte klar sein. Allerdings interessieren sich Kinder bereits in der ersten Klasse für Themen wie Umwelt, Krieg, Armut, Arbeitslosigkeit oder Migration. D.h. Kinder können bereits bewusst äußern, wie sie zu diesen Themen stehen, wenngleich sie dies noch sehr stark in ihrem unmittelbaren Umfeld beziehen. Warum dürfen Kinder nicht mitentscheiden, ob und wie ihre Schule finanziert wird, bzw. welche Dinge am Nötigsten sind? Schließlich ist Demokratie kein System, welches ausschließlich für Erwachsene gemacht ist (wenngleich die praktische Realität deutlich danach aussieht).

Kommunal ja, aber nicht auf Bundesebene

Manche behaupten, dass Bundespolitik wichtiger als Kommunalpolitik sei und Kinder deshalb vielleicht sogar kommunal entscheiden dürften, „aber doch bitte nicht nicht auf Bundesebene“. Hier offenbaren sich zwei Probleme. Zum einen ist „Wichtigkeit“ eine völlig subjektive Empfindung und dass Lokalpolitik unwichtig sei, würde wohl von vielen Bürger_innen vehement verneint werden. Zum anderen wird Kindern immer unterstellt, je höher die Ebene (lokal – regional – national – global), desto weniger verstehen sie und es wird behauptet Lokalpolitik könne ein Kind noch verstehen, aber Bundespolitik, oder gar EU-Politik nicht mehr. Dies ist allerdings ein Problem, was wohl generell auf die meisten Menschen zutrifft, die sich meist nicht einmal die Organe der EU kennen (womit ich mich einbeziehe). Aber es ist ein Irrglaube, dass Kinder so etwas wissen müssen, um überhaupt „objektiv“ wählen zu können. Politikverdrossenheit ist kein Phänomen von Kindern, sondern durchweg in jeder Altersklasse zu finden. Und auch über Interessen wie Umweltpolitik, Bildung, Krieg können Kindern schon befinden. Ab wann weiss ein Mensch genug um wählen zu dürfen und wieso darf ein 10jähriges Kind, was sich politisch sehr interessiert nicht wählen, aber ein 17jähriger Jugendlicher, obwohl es ihn noch nie interessiert hat?

Kinder wählen häufiger extremistische Parteien

Im Zusammenhang mit dem Argument, dass Kinder und Jugendliche einfacher manipulierbar seien, wird häufig behauptet, dass sie eher extremistische Parteien wählen würden. Das mag tendenziell zwar vor allem auf die NPD zutreffen, nicht aber in dem Maße, wie gern verlautet wird. Man möchte meinen, dass die Wahlergebnisse der DVU in Sachsen-Anhalt (12,9% im Jahr 1998), der Schill-Partei in Hamburg (19,4% im Jahr 2001) oder der NPD in Sachsen (9,2% im Jahr 2004) und in Mecklenburg-Vorpommern (7,3% im Jahr 2006) nicht von einer „reifen“ Wählerschaft produziert wurden. Nicht zuletzt stellen unsere Kinder und Jugendlichen auch nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft dar.

Ein relativ guter Indikator für das Wahlverhalten von Kindern und Jugendlichen ab der 7. Klasse sind die Juniorwahlen, die in verschiedenen Bundesländern dieses Jahr durchgeführt wurden. Schauen wir uns das Beispiel der Berliner Abgeordnetenhauswahl an, so ist feststellbar, dass etablierte Parteien weniger gewählt wurden und allein die Grünen höhere Stimmanteile besaßen, als bei der eigentlichen Wahl. Während die NPD 3,9% der Juniowahlstimmen bekam, waren es zur Abgeordnetenhauswahl 2,1%. Im Gegenzug dazu haben bspw. deutlich mehr Kinder und Jugendliche (4,9%) anteilig die Tierschutzpartei gewählt, welche im AGH auf lediglich 1,5% aller Stimmen kam. Auch die Piraten und die PARTEI konnte höhere Stimmanteile verbuchen. Dass Kinder generell eher extremistische Parteien wählen, kann hierbei nicht festgestellt werden, sondern eher, dass sie sehr viel diverser wählen und auch kleine Parteien in ihre Überlegungen mit einbeziehen, obwohl diese deutlich weniger mediale Präsenz genießen als die etablierten.

Ein Vergleich weiterer Wahlergebnisse der NPD in den Juniorwahlen (linke Zahl) mit denen der Landtagswahlen (rechte Zahl):

  • Hamburg: 3,9% vs. 0,9%
  • Sachsen-Anhalt: 11,4% vs. 4,6% (MLPD 0,8% vs. 0,2%)
  • Rheinland-Pfalz: 6,3% vs. 1,1% (Republikaner 1,2% vs. 0,8%)
  • Baden-Württemberg: 4,3% vs. 1,0% (Republikaner bei 0,9% vs. 1,1%)
  • Bremen: 3,5% vs. 1,6%
  • Mecklenburg-Vorpommern: 7,9% vs. 6,0%

Aus den Zahlen liest sich, dass es zwar eine Tendenz gibt, dass Jüngere vermehrt die NPD wählen, die aber mal stärker und mal schwächer vom Landtagswahlergebnis abweicht. Zu beachten ist die geringe Grundgesamtheit der Schüler_innen, bei der sich kleinere Abweichung und Trends stärker im Ergebnis niederschlagen. Doch auch bei scheinbar großen Unterschieden wie in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz ist eine Gefahr für die Demokratie nicht abzusehen. Wären die Ergebnisse der Juniorwahlen in die Endergebnisse mit einbezogen, würden die Wahlergebnisse für die NPD in Sachsen-Anhalt von 4,61% auf 4,67% (1.003.714 statt 993.502 Wählende bzw. 46.964  statt 45.826 NPD-Wählende) und in Rheinland-Pfalz von 1,08% auf 1,13% (1.931.024 statt 1.908.734 Wählende bzw. 21.962 statt 20.586 Wählende) korrigiert werden müssen. Hier offenbart sich, dass weder eine Gefahr für die Demokratie, noch eine Gefahr für die Kinder und Jugendlichen selbst besteht, wenn ihnen ein Wahlrecht zugesprochen wird.

Abschlussbetrachtung

Eine Idee, die mir vor wenigen Tagen kam, ermöglicht einen Kompromiss zwischen dem Wahlrecht ab Geburt und dem Wahlrecht ab 12 Jahren. Der Antrag zum Wahlrecht ab 0 fordert die Eintragung in ein Wählerverzeichnis für alle Minderjährigen. In meinen Augen wäre dies ein Rückschritt, da bereits in vielen Kommunen und einigen Bundesländern frei ab 16 Jahren gewählt werden darf.

Mein Kompromissvorschlag wäre das allgemeine Wahlrecht auf 12 Jahre herabzusetzen und gleichzeitig dies als weiche Grenze zu definieren, sodass Unter-12-Jährige durch Eintragung in ein Wahlregister trotzdem nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.

Da ich Grenzen generell auch sehr kritisch sehe bzw. wie sie zumeist argumentativ begründet werden, möchte ich anregen darüber zu diskutieren. In meinen Augen vereint solch eine Forderung die Stärken beider Anträge und relativiert die einzelnen Schwächen (z.B.ein Ausschluss von Wahlen auf Grund des Alters).

Politische Sozialisation und Partizipation im Kontext einer Herabsetzung des Wahlalters auf 12 Jahre

Zur Vorbereitung eines Antrages für den Bundesparteitag 2011.2 der Piratenpartei, habe ich mich mit dem Thema des politischen Interesses bzw. der politischen Sozialisation und Partizipation bei Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt. Auf Grund des Umfangs stelle ich meine Ausarbeitungen dazu als PDF hier zu Verfügung und hoffe meine Antragsbegründung für die Herabsetzung auf 12 Jahre in einen weiteren Kontext zu bringen bzw. diesen nachvollziehbar(er) zu gestalten.

Download der PDF

Update: Antrag im LiquidFeeback und im Wiki abrufbar.

Jugendliche an die Wahlurnen!

Der nachfolgende Text wurde als Referat von Prof. Klaus Hurrelmann verfasst. Er lehrt an der Hertie-School of Governance in Berlin als Professor of Public Health and Education. Aufmerksam wurde ich auf das Thema Wahlalter für Unter-16-Jährige durch ein Interview mit ihm bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen. Auf Nachfrage erhielt ich am 19.06. ein Okay, dieses Dokument auch weiterverbreiten zu dürfen. Eine stark gekürzte Version wurde von ihm bereits bei der Zeit 1996 veröffentlicht.

Als Vorbereitung zur Formulierung eines Antrages beim 2. Bundesparteitag der Piratenpartei 2011 soll dieser Text hier gepostet werden und später eine Referenz für einen Antragstext darstellen.

Anmerkung: Tippfehler, fehlerhafte Umbrüche u.ä. wurden korrigiert.

 

Klaus Hurrelmann:

Jugendliche an die Wahlurnen!

In der Altersspanne zwischen 12 und 14 Jahren entsteht die politische Urteilsfähigkeit

„Es ist unsere Zukunft, über die heute entschieden wird. Möglich, dass ich es zu drastisch sehe, aber das ist meine Meinung. Eigentlich ist es so, dass ich mich vor der Zukunft fürchte. Manchmal frage ich mich, ob wir das Jahr 2000 überhaupt noch erleben. Bei der Umweltverschmutzung und dem Hass der Völker gegeneinander ist das vielleicht eine berechtigte Frage. (…) Die Leute, die über uns zu bestimmen geruhen, die Erwachsenen, müssen bedenken, dass wir, die Kinder und Jugendlichen, in der Welt leben müssen, die sie uns hier überlassen. Ihnen ist das ja egal. Ihr Leben ist sowieso schon bald vorbei. Aber wir fangen gerade erst an zu leben. Es ist unsere Zukunft, mit der sie spielen. Können sie das vor uns verantworten?“

 Auszug aus einem Text der 14jährigen Schülerin Sylvia Rapp aus Weissach. Entnommen aus: Regina Rusch (Hg.) „So soll die Welt nicht werden. Kinder schreiben über ihre Zukunft“. Köln: Anrich 1993, Seite 54.

 Wie hat sich die Lebenssituation Jugendlicher verändert?

 Die Lebenssituation Jugendlicher hat sich in allen Industrieländern in den letzten 30 Jahren spürbar verändert:

  • Die Ablösung von den Eltern und der Herkunftsfamilie geschieht sehr früh, meist setzt sie schon im Alter von 12 und 13 Jahren ein. Die Beziehungen zu den Eltern bleiben in den meisten Fällen sehr gut, aber eine Distanzierung des eigenen Lebensstils von dem der Eltern ist nicht zu übersehen.
  •  Jugendliche haben heute eine sehr hohe Eigenverantwortung für ihre eigene Schullaufbahn. Die Ansprüche an einen hochwertigen Schulabschluss sind ständig gewachsen.
  •  Die Gleichaltrigengruppe gewinnt in dem Maße an Einfluss, wie die Familienablösung voranschreitet. Sie spielt vor allem für Entscheidungen bei Lebensstil, Kleidung, Mode und Freizeitverhalten eine große Rolle.
  •  Im Freizeit- und Konsumbereich bewegen sich Jugendliche mindestens genauso selbstsicher und souverän wie Erwachsene. Die Werbung hat das seit langem erkannt und setzt voll auf Kinder und Jugendliche als selbständige und gewissermaßen „mündige“ Käufer, die Entscheidungen nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Eltern mit beeinflussen.
  •  Immer mehr Jugendliche arbeiten neben der Schule und stocken so ihr ohnehin schon gut ausgestattetes Konto weiter auf. Von den 13jährigen Jugendlichen haben über drei Viertel ein eigenes Bankkonto mit Karten-Verfügungsrecht. Jugendliche werden von den Kreditinstituten praktisch wie Erwachsene behandelt.
  •  In Glaubens- und Religionsfragen sind Jugendliche heute sehr stark auf sich selbst gestellt. Sie kommen in einer offenen und wertepluralistischen Gesellschaft nur dann mit ihrem Leben zurecht, wenn sie sich einen ethischen Orientierungskompass schaffen. Auch in diesem Bereich wird eine sehr hohe Selbständigkeit von ihnen verlangt.
  • Die Geschlechtsreife hat sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter im Lebenslauf vorverlagert und liegt heute im Durchschnitt bei 11,5 Jahren für junge Frauen und 12,5 Jahren für junge Männer. Die meisten Jugendlichen haben im Alter von 14 oder 15 Jahren feste Partnerschaftsbeziehungen und oft auch regelmäßige Sexualkontakte.

Durch die Offenheit und Vielgestaltigkeit der Lebenssituation haben sich auch neuartige Bedingungen für die Persönlichkeitsentwicklung ergeben. Viele Jugendliche sind heute „kleine Erwachsene“: Sie müssen ihre eigenen sozialen Beziehungen und Bindungen organisieren, sie müssen ihre Schullaufbahn mit ihrer großen Bedeutung für die spätere Berufstätigkeit selbst in die Hand nehmen, sie müssen sich im Freizeit- und Medienbereich selbständig bewegen und auch wirtschaftlich selbständig handeln können.

Die rechtlichen Vorgaben für die veränderte Lebensphase Jugend haben sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert. Das geltende Recht gestattet es, dass Jugendliche von der Werbung und von der Kreditwirtschaft wie selbständige Kunden angesprochen werden. Mit 14 Jahren erreichen Jugendliche ihre Religionsmündigkeit und können die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft unabhängig von den Eltern bestimmen. Von diesem Alter an sind sie auch strafmündig im Rahmen der flexiblen Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes und beschränkt geschäftsfähig. Mit 18 Jahren erreichen Jugendliche dann die Volljährigkeit, gekoppelt mit dem aktiven und passiven Wahlrecht.

Es stellt sich die Frage, ob die veränderten Lebens- und Sozialisationsbedingungen bereits ausreichend durch diese rechtliche Lage berücksichtigt werden, vor allem auch, ob die Veränderungen in angemessener Form politisch widergespiegelt werden. Meiner Ansicht nach ist das nicht der Fall: Die Jugendlichen werden im politischen Raum nicht ernst genommen, es fehlen die angemessenen Formen der Partizipation und Mitbestimmung, die ihrer verhältnismäßig großen Selbständigkeit im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Raum entsprechen.

Politische Orientierungen von Jugendlichen

Welche politischen Orientierungen haben Jugendliche? Sie stehen in der Erwachsenenbevölkerung sehr stark im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ganz offensichtlich fasziniert und irritiert die Erwachsenen immer wieder erneut, wie sich die junge Generation ihren eigenen Lebensstil und ihre Lebensorientierung erarbeitet. Bei der Wertorientierung von Jugendlichen fällt auf, wie stark die Zielvorstellungen Selbstentfaltung, Selbständigkeit, Lebensgenuss, Mitbestimmung, Abenteuer und Kreativität im Vordergrund stehen. Die Mehrheit der Jugendlichen betont diese auf die Selbstentfaltung der eigenen Persönlichkeit abstellenden Werte sehr stark. Gefolgt werden diese Werte durch die Zielvorstellungen Freundschaft, Treue und Liebe. Entgegen vielen Vorurteilen und Projektionen der Erwachsenen legen die meisten Jugendlichen sehr großen Wert auf stabile Bindungen und Kontakte, auch zum anderen Geschlecht. An dritter Stelle der Wertpräferenzen von Jugendlichen folgen Beruf, Arbeitsplatz und Leistung. Die vielfach von Erwachsenen auf die Jugend projizierten Motive „Leistungsabwendung“ und „berufliches Desinteresse“ gehen völlig an der Realität vorbei.

Negativ besetzt sind bei den meisten Jugendlichen solche disziplinierende Werte wie Pünktlichkeit, gute Manieren, Fleiß, Pflicht, Disziplin, Ordnung und auch Landesverteidigung. Wie differenzierte Untersuchungen gezeigt haben, ist hiermit aber nicht eine Abwendung von der vorherrschenden Wertekultur unserer Gesellschaft, wie sie durch die Erwachsenen vertreten wird, verbunden. Vielmehr handelt es sich bei der Ablehnung dieser Werte um den Gegenpol zu den hochgeschätzten Zielvorstellungen der Selbstentfaltung und Selbständigkeit, die man durch die Pflichttugenden beeinträchtigt sieht.

Am Sonderforschungsbereich zur Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Bielefeld führen wir seit zehn Jahren Untersuchungen über die politischen Einstellungen und Interessen von Jugendlichen durch. Diese Einstellungen sind für ein demokratisches Gemeinwesen von großer Bedeutung, denn bei der jungen Generation handelt es sich immerhin um die Heranwachsenden, die in wenigen Jahren die politische Meinungsführerschaft übernehmen werden. Deswegen ist es zunächst wichtig festzustellen, dass die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen, nämlich 75 % und mehr, sich für Demokratie als die geeignetste Staatsform und auch für die heutige Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ausspricht. Gleichwohl sind viele von ihnen mit der Realisierung demokratischer Ideale und Strukturen in Deutschland unzufrieden. Unzufrieden sind sie auch mit der Art und Weise, wie die Parteien und die Regierungen in unserem demokratischen Staat agieren.

Diese generelle Unzufriedenheit drückt sich vor allem in einem zurückhaltenden Wahlverhalten der Erstwählerinnen und Erstwähler aus. Die Wahlbeteiligung der 18- bis 25jährigen lag in den letzten zehn Jahren bei ungefähr 60 %, mit sinkender Tendenz. Von Erwachsenen ist diese vergleichsweise geringere Wahlbeteiligung immer wieder als politisches Desinteresse interpretiert worden. Tatsächlich drückt sich hierin eine untergründige Skepsis gegenüber dem System von Parteien und der Art und Weise der Gestaltung der Regierungspolitik in der Bundesrepublik und den Ländern aus. Oft wird allerdings übersehen, dass die geringe Wahlbeteiligung sich Zug um Zug auch in die über 25jährige Bevölkerung hinein fortsetzt. Von einem Wahltermin zum nächsten sinkt die Wahlbeteiligung auch der Erwachsenen und der älteren Bevölkerung immer weiter ab. Die Jungwähler sind so gesehen nur Vorreiter einer Entwicklung. Statt sie als demokratisch unzuverlässig zu brandmarken, wäre es viel wichtiger, genau zu überprüfen und zu untersuchen, warum sie den Wahlurnen fernbleiben.

Politische Interessen von Jugendlichen

Unsere Untersuchungen geben für die 12- bis 17jährigen, also den noch nicht Wahlberechtigten, hierzu einige Antworten. Ein Ergebnis ist dabei besonders auffällig: Etwa im Alter von 13 bis 14 Jahren hat sich dasjenige Niveau von politischem Interesse ergeben, das wir auch bei den 18- bis 25jährigen finden. Es erklären sich insgesamt etwa 35 % der Jugendlichen für politisch sehr interessiert, eine weitere Gruppe von 30 % für etwas interessiert und das letzte Drittel für politisch uninteressiert. Diese Werte liegen nicht weit entfernt von denen in der Erwachsenenbevölkerung; die Zahl der politisch Interessierten liegt hier etwas höher. Wiederum haben wir aber auch hier in den letzten Jahren den gleichen Trend: Ein Absinken des politischen Interesses auch in der Erwachsenenbevölkerung.

Interessant sind die thematischen und inhaltlichen Interessen von Jugendlichen. Hier ergeben sich spürbare Abweichungen von den inhaltlichen Interessen der Erwachsenenbevölkerung. An erster Stelle der politisch dringenden Themen stehen bei den 12- bis 17jährigen (und auch bei den 18- bis 25jährigen) die Themen Umweltschutz und Umweltzerstörung. Weiterhin beschäftigen sich die Jugendlichen sehr stark mit solchen emotional geladenen Themen wie Armut durch internationale Spannungen, Kriegsvermeidung, Benachteiligung von Ländern der Dritten Welt. Die Themen „Armut“ und „Arbeitslosigkeit“ folgten in der Rangfolge und haben in den letzten Jahren angesichts der schwierigen Wirtschaftslage weiter an Bedeutung gewonnen. Regionale und lokale Themen rangieren im Interessenspektrum der Jugendlichen auf den unteren Plätzen. Es sind also die globalen Themen, die Jugendliche ganz besonders beschäftigen. Wahrscheinlich ist die Interessenorientierung auch durch die Massenmedien mitbedingt. Wir können jedenfalls beobachten, dass schon 10- bis 12jährige über Massenmedien teilweise hervorragend über politische Zusammenhänge des Weltgeschehens informiert sind.

Auch die Parteipräferenzen der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren haben wir erfragt. 35 bis 40 % sind der Auffassung, keine der in Deutschland existierenden Parteien vertrete ihre Interessen und folglich werde man auch nicht zur Wahl gehen. Schon in diesem Alter zeichnet sich also die niedrige Wahlbeteiligung ab, die wir dann auch bei den 18- bis 25jährigen beobachten können. Von den einzelnen Parteien schneiden Bündnis 90/Die Grünen, SPD und PDS spürbar besser ab als in der Erwachsenenbevölkerung, die übrigen Parteien schlechter. Allerdings zeigt unsere Analyse sehr deutlich, dass diese Gewichtung mit den Themen zu tun hat, die von den Parteien vorgetragen werden. Eine fest verankerte „linke“ oder „grüne“ Orientierung lässt sich bei der jungen Generation nicht erkennen, allenfalls eine unkonventionelle Orientierung und Offenheit gegenüber Selbstbestimmungswerten, wie oben dargestellt.

Ein weiterer Punkt fällt auf: Ein großes Misstrauen gegenüber Politikerinnen und Politikern, mit den globalen Themen angemessen umzugehen, die Jugendliche für besonders wichtig halten. Die Lösungskompetenz der Partei- und Regierungspolitiker wird massiv in Frage gestellt. Die meisten Jugendlichen sind unsicher, ob die Politikerinnen und Politiker auch wirklich an einem Abbau der Umweltzerstörung und der wirtschaftlichen Krisen interessiert sind. Deshalb ihr Pessimismus gegenüber der zukünftigen Entwicklung, deshalb auch Gefühle von Unsicherheit und Angst.

Jugendliche machen sich Sorgen, dass durch die politischen „Apparate“ die dringlichen Zukunftsprobleme nicht angepackt werden. Sie haben zugleich den subjektiven Eindruck, wenig Einfluss auf die Entscheidungen der Politikerkartelle ausüben zu können. Hier entsteht ein gefährliches Gemisch von Hilflosigkeit und Entfremdung, verbunden mit Gefühlen der Ohnmacht und der Irritation. Weit verbreitet sind Ängste, dass soziale und wirtschaftliche Fehlentwicklungen nicht erkannt und politisch nicht gesteuert werden können. An diesem Punkt sehe ich eine reale Gefahr der Abwendung vom politischen System, der mangelnden Identifizierung mit den heutigen politischen Strukturen und Parteien, eben weil sich Jugendliche von der Beeinflussbarkeit politischer Prozesse ausgeschlossen fühlen.

Übrigens sind Mädchen in dieser Hinsicht noch empfindlicher als Jungen. Ihr politisches Sachinteresse ist niedriger als das der Jungen, ihr emotionales Interesse an politischen Themen allerdings ist sehr breit. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir dieses gefühlsmäßige Zugehen auf politische Themen als „unpolitisch“ abwerten. Meiner Ansicht nach muss in der heutigen Lebenssituation, in der Jugendlichen so früh eine Selbstorganisation ihrer eigenen Lebensverhältnisse ermöglicht und zugleich abverlangt wird, auch die emotionale Dimension mitberücksichtigt werden. Insgesamt gilt für Jugendliche, dass für sie Politik nicht nur allein mit dem Kopf, sondern auch mit der Seele und wenn man es so sagen will mit dem „Bauch“ gemacht werden sollte. Politische Parteien wie etwa Bündnis 90/Die Grünen kommen diesem allgemeinen Verständnis von politischen Themen noch am ehesten nahe, daher ihre relativ große Resonanz.

Nicht überraschend ist nach alledem, wie gering der Anteil von Jugendlichen ist, der sich in Parteien und Vorfeldorganisationen der Parteien organisiert. Wir kommen auf einen Wert von etwa 2 bis 2,5 %. Dieser Wert liegt deutlich unter dem der Erwachsenenbevölkerung, in der wir von etwa 3,5 % ausgehen können. Aber: Auch in der Erwachsenenbevölkerung bröckelt die Mitgliedschaft rapide ab. Wiederum können wir erkennen, dass im politischen Verhalten und in den politischen Präferenzen von Jugendlichen, auch und gerade der 12- bis 17jährigen, gewissermaßen seismographische Qualitäten stecken. Die Art und Weise, wie die spontanen und agilen Jugendlichen auf politische Fragen reagieren, hat offenbar den Wert eines Frühindikatorensystems für das ganze politische System.

Es sind heute die Jugendlichen im Schulalter, die die politischen Stimmungsanzeiger und damit zugleich auch die Defizitaufzeiger geworden sind. Übrigens: Viel eher als in einer Partei organisieren sich diese Jugendlichen in Initiativen wie Amnesty International oder Greenpeace. Dieses nur vorübergehende, punktuelle Engagement kommt ihrer Mentalität näher. Sie haben eben grundsätzlich Sorge, sich von Apparaten und Institutionen vereinnahmen zu lassen. Das gilt auch für Gewerkschaften, Clubs und Sportvereine. Die Parteien erscheinen ihnen als Riesenorganisationen mit einem altmodischen Mitgliedschaftsbegriff. Hier tritt man einmal im Leben ein und bleibt lebenslang „gefangen“ diese Vorstellung ist für die meisten Jugendlichen ein Gräuel. Da sie außerdem abgeschreckt und teilweise angewidert sind von dem Funktionärsgehabe der politischen Sprecherinnen und Sprecher, ist die geringe Attraktivität der Parteien nicht überraschend.

Mehr Mitbestimmung und Mitgestaltung!

Welche Konsequenzen sind aus dem politischen Interessen- und Einstellungsprofil der jungen Generation zu ziehen? Grundsätzlich spricht meiner Ansicht nach alles dafür, Jugendliche ab 12 Jahren voll in die politische Diskussion und Gestaltung unseres Gemeinwesens einzubeziehen. In der Altersspanne zwischen 12 und 14 wird heute ein Lebensstadium erreicht, das eine weitgehend selbständige Lebensführung ermöglicht und zugleich verlangt. Deshalb sollten Jugendliche auch politisch partizipieren. Wir dürfen die 12- bis 17jährigen nicht wie bisher aus vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen ausgrenzen, sondern wir müssen sie zur Mitgestaltung gewinnen. Wir können von ihnen nicht erwarten, dass sie sich von heute auf morgen an wichtigen Entscheidungen beteiligen. Hierzu müssen sie vorher spüren, dass ihre Partizipation erwünscht und erwartet ist. Es muss in Schulen, Familien und Ausbildungsplätzen so etwas wie eine „Partizipationskultur“ entstehen, mit der Selbstverständlichkeit, dass alle Beteiligten sich bei wesentlichen Fragen miteinander abstimmen und aufeinander hören. Das Wahlrecht ist nur ein Bestandteil einer solchen Partizipationskultur.

Das entscheidende Stichwort lautet: Demokratie leben. Das gilt für Familiendemokratie, Schuldemokratie, Vereinsdemokratie, Gemeindedemokratie und natürlich auch Parteidemokratie. Überall geht es um realistische und faire Mitbestimmung aller Menschen in diesen Institutionen, egal welcher Generation sie angehören. Und es geht darum, die Jugendlichen, deren Lebenssituation sich so deutlich in Richtung einer Verselbständigung gewandelt hat, voll mit einzubeziehen.

In mehreren Ländern der europäischen Union werden seit vielen Jahren Modelle für die stärkere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an politischen Entscheidungen erprobt. Bevor wir in Deutschland diese Modelle übernehmen, sollten wir genau prüfen, welche von ihnen sich bewährt haben. Meiner Ansicht nach sind es diejenigen, die Kindern und Jugendlichen direkte Beteiligungsmöglichkeiten einräumen. Diese Modelle machen ohne Wenn und Aber deutlich, dass Entscheidungsbefugnis an die junge Generation verlagert wird, also eine eindeutige Machtverschiebung stattfindet.

Grundsätzlich gilt: Nur dann, wenn mit Partizipation auch tatsächlich eine Gestaltungsfähigkeit mit der Chance der Veränderung gegebener Bedingungen verbunden ist, macht Beteiligung einen Sinn. Das Einräumen von Partizipationsrechten ist immer auch ein Stück Machtteilung und Machtabgabe, und zwar aus den Händen der Erwachsenen in die Hände der Jüngeren. Die direkten Beteiligungsformen machen dieses deutlich: Kindern und Jugendlichen wird mehr demokratische Macht als bisher zugestanden. Insofern sind Partizipations- (einschließlich Wahlrechts-)fragen immer auch politische Machtfragen. Historisch hat das nicht zuletzt die späte Einführung des Frauenwahlrechtes deutlich gezeigt.

Ziel einer demokratischen Gesellschaft muss es sein, Kinder und Jugendliche an allen wesentlichen Entscheidungen in ihrer Lebenswelt direkt zu beteiligen. Erleben sie in Familie, Kindergarten und Schule, aber auch in Nachbarschaft und Gemeinde, dass ihre Stimme zählt und ihre Meinung gehört wird, dann entwickelt sich so eine Beteiligungskultur, die für ein demokratisches Grundklima Voraussetzung ist. Zu dieser Kultur muss Beteiligungspraxis gehören die Möglichkeit nämlich, tatsächlich und real durch Mitbestimmung zu erfahren, wie sich die Lebensbedingungen gestalten lassen.

Die direkte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in verschiedenen Bereichen möglich, von denen ich einige beispielhaft ansprechen möchte:

  • Auf Gemeindeebene sind meiner Einschätzung nach von allen bisherigen Modellen diejenigen am erfolgreichsten, die eine direkte Anhörung von Kindern und Jugendlichen bei allen relevanten Planungen vorsehen. Das gilt für die Politikbereiche Verkehr, Kindergarten, Spielplatz, Freizeit und Schulen und viele andere mehr. Auch ist die Einrichtung von Kinderbeiräten und Jugendbeiräten sinnvoll, wobei Kinder gewissermaßen als Sachverständige bei der Beratung von Planungen für wesentliche Politikbereiche herangezogen werden. Schließlich halte ich auch die Einrichtung von kommunalen Kinderbeauftragten für hilfreich, weil hierdurch eine Verstärkerfunktion für die Meinungen und Einstellungen von Kindern und Jugendlichen in die Gemeindepolitik und Gemeindeverwaltung hinein erreicht werden kann.
  • Im Schulbereich wurde in den 70er und 80er Jahren ein recht gutes Instrumentarium der „Mitverwaltung“ etabliert, das seitdem aber nicht weiterentwickelt wurde. Es fehlt vor allem an der Beteiligung von Schülerinnen und Schülern an der Lehrplanung und der Gestaltung von Unterrichtsformen, auch an der Planung des Unterrichtsgebäudes und des Schulhofes. Im Zuge einer politisch jetzt endlich gewollten Verselbständigung der einzelnen Schule könnte die verstärkte Partizipation einen neuen Schub bekommen. Den Schulkonferenzen und möglicherweise den Schulbeiräten könnte eine Schlüsselrolle zukommen; an diesen Gremien sollten gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Schülerschaft mit Sitz und Stimme teilnehmen. Schließlich wäre auch darüber nachzudenken, ob der Schülervertretung ein bildungspolitisches oder sogar allgemeinpolitisches Mandat zugestanden werden könnte, um auf diese Weise gezielte Einflussnahme auf gemeindepolitische und landespolitische Entscheidungen ausüben zu können.
  • Im Bereich der Medien herrscht heute kaum Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Ich bin dafür, ihnen viel mehr Möglichkeiten einzuräumen, eigene Sendungen und eigene Publikationen zu produzieren. Selbstverständlich ohne jede Zensur, die im Schulbereich bei der „Jugendpresse“ immer noch üblich ist. Weiterhin sollten Kinder und Jugendliche Mitglied in den Rundfunkräten der großen Medienanstalten sein und in anderer Weise an Beiräten für diese Institutionen beteiligt werden. Schließlich sollten wir darüber nachdenken, ob wir für verschiedene Altersgruppen landesweit oder bundesweit Kindermedienräte und Jugendmedienräte einrichten. Diese Räte hätten die Aufgabe, öffentlich Bewertungen von Inhalten und Darstellungsformen bei Zeitungen, Illustrierten, Radiosendern und Fernsehsendern vorzunehmen.

Alle diese Überlegungen sprechen dafür, die direkten Formen der Beteiligung an Planungen und Entscheidungen zu stärken. Dabei muss der Versuch gemacht werden, jugendgerechte Formen der Gremiensitzungen zu finden. Auch muss beachtet werden, dass die Form der punktuellen Aktivität durch Anhörung, Umfragen, Werkstattgesprächen und Aktionen Kindern und Jugendlichen wahrscheinlich besser entgegenkommt als die kontinuierlichen, über viele Wochen und Monate ausgelegten Gremiensitzungen.

Auch die Einrichtung von sogenannten „Kinderparlamenten“ und „Jugendparlamenten“ ist zu erwägen. Diese Institutionen machen politisch aber nur Sinn, wenn sie mit echten Entscheidungskompetenzen ausgestattet sind. Hierzu fehlen meist die Möglichkeiten. Werden Kinder- und Jugendparlamente nur eingerichtet, um, wie es häufig heißt, „Demokratie einzuüben“, dann handelt es sich hier um eine ambivalente Institution, möglicherweise um eine „Spielwiese“ der Demokratie, die sogar kontraproduktiv für den Aufbau von demokratischen Erfahrungen sein könnte. Die Einrichtung von Kinder- und Jugendparlamenten ist mit größter Umsicht zu betreiben und nur dann zu befürworten, wenn tatsächliche Entscheidungen, zumindest Vetorechte, mit der Parlamentsarbeit verbunden sind. Ansonsten sollte lieber auf die erwähnte beiratsartige Arbeit zurückgegriffen werden, die einen direkten Einfluss auf Entscheidungen der Kommunen und möglicherweise auch der Länder gestattet.

Skepsis ist gegenüber dem sogenannten „Familienwahlrecht“ angebracht. Hier geht es um die Frage, ob die Kinder, die noch kein Wahlrecht haben also heute die unter 18jährigen ihre Stimme stellvertretend an ihre Eltern abgeben können. Unabhängig von verfassungsrechtlichen Problemen scheint mir dieses Modell demokratietheoretisch und politisch-psychologisch problematisch. Denn Kinder können sich hier nicht selbst artikulieren, sie müssen ihre Stimme delegieren. Das ist symbolisch nicht das, was für eine Demokratie konstitutiv ist: Durch diese Konstruktion ist keine Direktverantwortung möglich, Kinder und Jugendliche werden durch die stellvertretende Übernahme ihres Wahlrechtes nicht als vollwertige Bürgerinnen und Bürger wahrnehmbar. Das Modell ist familienpolitisch sicherlich interessant, weil es Eltern ein zusätzliches Gewicht bei politischen Wahlentscheidungen geben würde unter dem Gesichtspunkt einer Stärkung der Partizipationsrechte von Kindern und Jugendlichen aber handelt es sich hierbei nicht um ein zu bevorzugendes Modell.

Herabsetzung des Wahlalters

In die Mitbestimmungsdebatte gehört auch die Diskussion über die Herabsetzung des Wahlalters. Ich bin der Auffassung, dass eine Koppelung des Wahlalters an das Volljährigkeitsalter von 18 Jahren nicht überzeugend und nicht zwingend ist. Oft wird argumentiert, eine Bündelung aller Daten der rechtlichen Verselbständigung schaffe eine gewisse Klarheit und Orientierung im rechtlichen Bereich. Dagegen aber steht die Tatsache, dass wie oben dargestellt im Konsumbereich, der Geldwirtschaft, der Religions- und Wertorientierung und der Strafmündigkeit bereits heute wesentliche Teilrechte auf Selbstentfaltung und Selbstverantwortung an die unter 18jährigen gegeben werden teils rechtlich und verfassungsrechtlich gewollt, teils durch die sozialen und kulturellen Wandlungsprozesse faktisch entstanden.

Eine Herabsetzung des Wahlalters auf 12, 14 oder 16 Jahre wäre durchaus im Einklang mit anderen rechtlichen Vorgaben, die teilweise im Grundgesetz verankert sind. Eine solche Herabsetzung des Wahlalters würde auch der politischen Interessenlage Rechnung tragen, die sich wie unsere Untersuchungen zeigen nicht wesentlich von der der 18- bis 25jährigen unterscheidet.

Schließen wir die 12- bis 17jährigen wie bisher sowohl vom aktiven wie vom passiven Wahlrecht aus, dann sind die politischen Akteure in Parteien, Parlamenten und Regierungen nicht verpflichtet, diesen Teil der Bevölkerung zu repräsentieren. Mehr noch: Sie fühlen sich nach den heute geltenden Regeln der repräsentativen Demokratie faktisch dieser Bevölkerungsgruppe gegenüber in ihren Entscheidungen nicht verantwortlich. Die politisch informierten und interessierten Jugendlichen sind von einem entscheidenden Mechanismus der politischen Willensbildung ausgeschlossen, was sie in genau die Passivität weiter hineindrängt, unter der sie leiden. Auf der anderen Seite sind die Politikerinnen und Politiker nicht vom Wahlverhalten dieser Gruppe abhängig, was dazu führt, dass sie deren Themen kaum aufnehmen, sondern eher die Themen der wahlberechtigten älteren Bevölkerungsgruppen mit einem lebensperspektivisch bedingten kürzeren Zukunftshorizont.

Durch die Alleinrepräsentanz von Erwachsenen und Älteren bei Wahlen wird heute im politischen Sektor kein fairer Generationenvertrag geschlossen. Vielmehr werden nur diejenigen Interessen gefördert, die im relativ zeitnahen Zukunftshorizont der älteren Bevölkerung mit ihrer relativ geringen verbleibenden Lebenserwartung liegen. Das kann dazu führen, zukunftssichernde Themen zu vernachlässigen. Der frühere Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei, Lambsdorff hat vor vielen Jahren auch im Blick auf die zunehmende Veralterung der Bevölkerung treffend festgestellt: „Wahlen werden künftig in den Altersheimen entschieden“.

Eine Senkung des Wahlalters würde diese Mechanismen zumindest teilweise durchbrechen. Die Trennung der Bevölkerung in einen wahlberechtigten und einen nicht-wahlberechtigten Teil muss in einem demokratischen Gemeinwesen sorgfältig begründet werden. Heute schließen wir (außer den 7 Millionen „Ausländern“ und einigen tausend „Entmündigten“) über 15 Millionen 0- bis 17jährige Menschen deutscher Staatsangehörigkeit vom Wahlrecht aus, alleine mit der Begründung, sie hätten nicht das angemessene Alter zur Praktizierung dieses Bürgerrechtes. Eine konsequente demokratische Verfassungsstruktur muss aber wohl von der Idee ausgehen, dass jeder Mensch eine Stimme hat. Abweichungen sind ausdrücklich zu rechtfertigen.

Deshalb muss geprüft werden, ob die Kriterien für die Festlegung eines „Sperralters“ von 18 Jahren unter den veränderten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und entwicklungspsychologischen Bedingungen weiterhin haltbar sind. Meiner Ansicht nach ist das nicht der Fall. Denn Jugendliche sind heute selbständiger als früher. Sie müssen und können sich heute vermittelt über die Massenmedien mit allen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinandersetzen. Ob wir diese Entwicklungen nun unter pädagogischem Gesichtspunkt begrüßen oder nicht Tatsache ist: Jugendliche sind heute in den meisten ihrer täglichen Lebensvollzügen wie Erwachsene aufgefordert, ihren eigenen Weg zu finden. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, sie ausgerechnet von der politischen Beteiligung auszuschließen. Warum sollte ihnen die politische Partizipation, die sich besonders im Bürgerrecht auf Wahl ausdrückt, vorenthalten werden? Sie sind gefordert, in allen wichtigen Lebensbereichen schon früh ihren Mann oder ihre Frau zu stehen, sie können aber diese Herausforderung im politischen Bereich nicht annehmen, weil ihnen das hochwertigste Partizipationsrecht vorenthalten wird.

Jugendliche, auch schon Kinder, gehören verfassungsrechtlich gesehen von der Geburt an ebenso zum Staatsvolk im Sinne des Artikels 20 des Grundgesetzes wie Erwachsene und alte Menschen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes kommt Kindern ab der Geburt der volle Gehalt der Grundrechte der Verfassung zu. Aus dieser Perspektive ist es nicht nachzuvollziehen, dass in Artikel 38 des Grundgesetzes das aktive und passive Wahlrecht von der Vollendung ausgerechnet des 18. Lebensjahres abhängig gemacht wird. Bekanntlich war Anfang der 70er Jahre diese Altersgrenze schon einmal geändert worden; sie lag vorher bei 21 Jahren. Nach Artikel 20 geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von diesem in Wahlen ausgeübt. Nach Artikel 38 aber wird genau der Teil des Staatsvolkes von der Partizipation ausgeschlossen, der ein besonderes Interesse an der Umsetzung langfristiger politischer Perspektiven hat.

Nach dem heute vorherrschenden Demokratieverständnis darf das Wahlrecht nicht an Charaktermerkmale der Person gebunden sein. Es handelt sich um ein Grundrecht, das nicht von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, der Herkunft, der religiösen Orientierung oder anderen personenbezogenen Merkmalen abhängig gemacht werden darf. Darf es von einer bestimmten persönlichen „Reife“ abhängig gemacht werden? Vielfach wird heute argumentiert, 12-, 14- oder 16jährige Jugendliche seien in ihrer persönlichen Entwicklung noch nicht so gefestigt wie Erwachsene. Das mag grundsätzlich stimmen. Aber: Reifekriterien werden an andere Altersgruppen der Bevölkerung nicht angelegt, wenn es um die Erteilung des Wahlrechtes geht. Eine Diskussion darüber, ob das Wahlrecht an die persönliche Reife gebunden werden kann, gibt es auch in Bezug auf die 70- bis 80jährige Bevölkerung nicht. Deswegen verbietet sich das pauschale Reifekriterium für die Festlegung eines Mindestwahlalters.

Sinnvollerweise können aber entwicklungspsychologische und persönlichkeitsdynamische Gesichtspunkte herangezogen werden. Für die Festlegung eines Mindestwahlalters eignet sich in dieser Perspektive das Kriterium der alterstypischen moralischen und politischen Urteilsfähigkeit. Die kognitive Entwicklungsforschung zeigt, dass in der Altersspanne zwischen 12 und 14 Jahren bei fast allen Jugendlichen ein intellektueller Entwicklungsschub stattfindet, der sie dazu befähigt, abstrakt, hypothetisch und logisch zu denken. Parallel hierzu steigt in dieser Altersspanne auch die Fähigkeit an, sozial, moralisch und politisch zu denken und entsprechende Urteile abzugeben. Wollen wir von einer „Reife“ der Urteilsfähigkeit nicht der gesamten Persönlichkeit sprechen, dann ist sie in diesem Alter gegeben. Regeln und Werte können jetzt unabhängig von eigenen Interessenlagen wahrgenommen und umgesetzt, die Intentionen der Handlungen anderer können erkannt und berücksichtigt, komplexe Zusammenhänge intellektuell verstanden werden.

Aus diesen Überlegungen heraus spricht meiner Ansicht nach vieles dafür, das aktive Wahlrecht auf ein Alter von bis zu 12 Jahren abzusenken. Auch die empirischen Befunde, die ich über die politische Interessenlage und die politischen Handlungspräferenzen von Jugendlichen zitiert habe, sprechen für einen solchen Schritt. Der Gesetzgeber würde mit einer solchen maßvollen Senkung des Wahlalters gesicherten Entwicklungserkenntnissen gerecht werden und auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sich die Lebensbedingungen von Jugendlichen in diesem Altersabschnitt inzwischen spürbar verändert haben. Die Vorverlagerung von vielen Verselbständigungs- und Entscheidungsprozessen im Lebenslauf beeinflusst im übrigen ihrerseits die Entwicklungsdynamik und fördert die frühe Urteilsfähigkeit.

Das Wahlrecht für Jugendliche wäre ein deutlicher Schritt zu einem umfassenderen Demokratieverständnis. Das aktive Wahlrecht würde Jugendlichen mehr Rechte, aber auch mehr Verantwortung abverlangen. Für viele ist das eine Belastung, zumindest ein gewöhnungsbedürftiger Gedanke. Aus Umfragen geht hervor, dass die Jugendlichen in der Altersgruppe zwischen 12 und 17 Jahren selbst etwa nur zur Hälfte die Einräumung des Wahlrechtes befürworten. Jugendliche gehen mit sehr anspruchsvollen Maßstäben und Qualifikationsvorstellungen an den Wahlakt heran. Sie sind der Auffassung, es gehöre eine umfassende politische Information und eine genaue Kenntnis von Parteiprogrammen und politischen Zusammenhängen als Voraussetzung dazu. Hier sind die Jugendlichen erheblich anspruchsvoller als die ältere Bevölkerung, die teilweise ohne jede sorgfältige politische Vorabinformation wählen geht. Das muss keine schlechte Ausgangslage sein, sondern kann möglicherweise auch ein Impuls für eine besonders sensible politische Wahrnehmung des Wahlrechts sein.